Die nächste Krise XIIV

Neues von der chinesischen Krise:

Contagion is spreading into the deep tissue of China’s political economy. What began as a property crisis — characterised by slumping apartment sales and a rash of debt defaults by developers — is now morphing into a financial crunch at the local government level.

With the market slump, thousands of local government financing vehicles (LGFVs), which since the financial crisis have provided the main impetus behind China’s investment-driven growth, are either running short of funds or teetering on the brink of unprecedented defaults, analysts say.

One of the next twists, according to Wright, is likely to be unprecedented defaults by LGFVs on the domestic bonds they issue. If LGFVs do default, it will signal the crossing of a “Rubicon”, he says.

This is partly because these bonds — which have financed the construction of roads, railways, power plants, airports, theme parks and hundreds of other pieces of infrastructure — have been assumed to enjoy an implicit government guarantee. More materially, such defaults could also destabilise a $7.8tn mountain of debts built up by such LGFVs, sending chills through an already cooling economy.

With the market slump, thousands of local government financing vehicles (LGFVs), which since the financial crisis have provided the main impetus behind China’s investment-driven growth, are either running short of funds or teetering on the brink of unprecedented defaults, analysts say. Local governments have long depended on land sales to property developers to balance their books.

The European Chamber of Commerce in China this month put out its “most dark [position] paper ever”, according to Jörg Wuttke, chamber president. The chamber warned that “European firms’ engagement [in China] can no longer be taken for granted” and added that China was quickly losing “its allure as an investment destination”.

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Die neuesten Entwicklungen

Man kommt mit unseren Kapazitäten nicht mehr hinterher, wenn man über die Dinge schreiben will, die im Moment alles in Bewegung geraten. Das ist kein Zufall und nicht einmal eine unvorhergesehene Situtation, es war von Anfang an klar, dass dieses Jahr eines der kaskadierenden Veränderung sein wird. Es ist noch nicht einmal alles geschehen, was wir in unseren Bingo-Karten stehen haben. Die Entscheidung in China z.B. ist noch nicht gefallen, es sei denn, man glaubt den wilden Gerüchten, die in den indischen Medien umlaufen.

Das ist der Grund, warum wir diesesmal nicht tagelang über den iranischen Aufstand schreiben. Die Lage im Iran hat sich nicht grundsätzlich verändert; die Aufstände kommen in immer schnellerer Folge und scheinen immer heftiger zu werden, und irgendwann, dieses Jahr oder das nächste, werden sie sich durchsetzen. Was danach kommt, lässt sich nur erst ahnen. Aber die Folgen werden überall fühlbar sein. In unsrer Welt hängt jeder Teil der Unterdrückung mit jedem anderen zusammen, auf vielerlei Weisen; direkt durch die Bündnissysteme, durch den Weltmarkt, aber auch subtiler, durch die herrschende Ideologie.

Man soll nicht glauben, dass eine Veränderung im Iran, in Russland oder China einfach einen Sieg des Westens, oder gar der momentan dort herrschenden Parteien bedeuten würde. Im Gegenteil beruht der gegenwärtig hier herrschende Zustand direkt auf der Existenz dieser Regime. Jede Veränderung an irgendeinem Ort zieht Veränderungen an jedem anderen Ort nach sich. Die Zeiten sind vorbei, wo man wie ein Astrologe die kommenden Dinge aus weit entfernten Bewegungen ablesen musste. Es werden auch hier neue Fragen gestellt werden, und es werden neue Dinge geschehen.

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Ganz was anderes

Der Mitschnitt der sehr interessanten Konferenz „Workers Buyout“ von 2020 ist übrigens auf Youtube zu finden.

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Neues von der Pseudo-Linken (V)

Was wäre die Kritik der heutigen Pseudo-Linken ohne Berlin? In Berlin tritt alles, was anderswo nur eine ungreifbare Tendenz ist, als eine eigene greifbare Realität auf. In Berlin scheint alles völlig anders zu sein als in der Provinz, aber in Wahrheit ist Berlin nur der Zerrspiegel, der ins überdeutliche vergrössert das zeigt, was man anderswo noch abstreiten kann.

Sehen wir uns also nocheinmal berliner Vorgänge an. Wir haben hier einen, der uns eine Reihe von ernsthaften Fragen aufwirft: entweder nach dem Zustand der heutigen linken Szene, oder nach ihrem Charakter, oder nach der Zukunft, die sie haben kann.

Für den 30.8.2022 hatte der Verein „Sisters e.V.“ im Nachbarschaftshaus Kreuzberg einen Filmabend mit anschliessender Diskussion angekündigt. Sisters e.V. ist ein Verein, der sich mit Armutsprostitution befasst und Ausstiegshilfe anbietet.

So weit, so gut. Aber es ist Berlin 2022, und deswegen gab es erstens einen Protestaufruf nebst Forderung, die Veranstaltung abzusagen, und zweitens die wirkliche Absage durch das Nachbarschaftshaus Kreuzberg.

Das sind zwei getrennte Vorgänge, die wir getrennt betrachten werden müssen. Sie werden uns zwei einander ergänzende Dinge lehren.

1. Für die Diskussion waren u.a. Aussteigerinnen aus der Prostitution angekündigt, die die Prostitution erlebt haben als ein rassistisches Ausbeutungs-System, und sie als solches auch beschreiben. Das ist den wenigen, die sich entschieden haben, ihnen zuzuhören, auch nicht unbekannt.

Lassen sich ernsthaft Teile der berliner linken Szene dazu mobilisieren, diesen Leuten den Mund zu verbieten? Das wäre schwierig, ausser man formuliert es anders. Es ändert zwar an der Sache nichts. Aber es sagt uns etwas über die Art, wie hier gedacht wird.

Der erste Aufruf, der so auch von einigen Demo-Tickern geteilt wurde, lies durchblicken, es ginge hier gegen christliche Fundamentalisten. Auf die Weise reitet man auf der Mobilisierung gegen den „Marsch für das Leben“. Und offenbar rechnet man sich aus, dass das zieht.

Sisters e.V. hatten einen Beitrag einer Rednerin von „Gemeinsam gegen Menschenhandel e.V.“ angekündigt. Das ist in der Tat eine christliche Vereinigung. Sind es Fundamentalisten? Ich habe eine schlechte Nachricht für euch, Freunde: es gibt einen ganzen Haufen Christen da draussen. Und noch eine schlimmere: viele davon tun gute Arbeit, und die Linken arbeiten mit ihnen zusammen.

Vor ein paar Jahren, als die Abschiebeflüge nach Kabul flogen, waren es nicht die Leute mit den patentiert richtigen Ansichten, die uns begegnet sind, als wir die afghanischen Flüchtlinge aufgesucht haben, sondern Leute von der katholischen Kirche. Wir haben sie nicht nach ihrer Meinung zur Abtreibung gefragt. Wir haben mit ihnen zusammengearbeitet, wir sind darauf stolz und wir werden es jederzeit wieder tun. Was die Leute mit den patentiert richtigen Ansichten wert sind, haben wir damals nämlich ganz genau gesehen. Und so, nehme ich an, halten es auch Sisters e.V., und sie tun gut daran.

2. Auf Dauer reicht wohl #nofundis als Begründung nicht aus; es sind wohl noch eine Reihe anderer Dinge über Sisters e.V. in Umlauf gesetzt worden, auf einige davon wird z.B. hier eingegangen. Aber es lassen sich natürlich beliebig viele Gerüchte ausdenken, die man glauben kann, wenn man sie glauben will.

Die Organisation, von der der Aufruf in diesem Fall herrührt, nennt sich Sex Worker Action Group und tritt auf als Gruppe von Leuten, die „Sex Work“ betreiben. „Sex Work“ ist ein interessantes Wort, es ist dafür gemacht, das traditionelle Bild von der Prostitution zu ersetzen durch ein modernes, sauberes, selbstbestimmtes. Aber dadurch, dass man das Bild von einer Sache ändert, ändert man die Sache noch nicht. Über die Zustände im Bordellwesen und der Armutsprostitution erfährt man auch auf genau eine Weise, nämlich von denen, die diese Zustände kennen. Wenn diese Zustände sich als „Sex Work“ beschreiben liessen, bräuchte es nicht Vereine wie Sisters e.V. Was für Leute sind es, die daraus den Schluss ziehen: also muss man Sisters e.V. zum Schweigen bringen? Für wen und für was arbeiten diese Leute?

Sisters e.V. wollen, sagt die Sex Workers Action Group, eine Gruppe, die „criminalisation of our work“, was streng genommen falsch ist, weil Sisters e.V. das Verbot des Kaufs und nicht des Verkaufs von Sex wollen. Aber selbst wenn wir das zugestehen würden, was bleibt übrig? „Wir“ und unsere Lebensentscheidung zählen mehr als das Elend anderer; noch viel mehr, „unsere“ Belange wiegen sogar das Recht auf, über das eigene Erleben der Prostitution als rassistisches Ausbeutungssystem auch nur zu sprechen.

Ist es das, was aus der „Politik der ersten Person“ geworden ist? Dann habe ich wiederum schlechte Nachrichten für euch, berliner Linke: kein Wunder, dass eure Szene zu einem Magneten für gewisse Kinder der besseren Kreise geworden ist. Denn genau mit dieser Idee sind diese aufgewachsen: unsere Belange sind wichtiger als die von anderen Leuten, schon gar von solchen. Ihr wisst genau, was für Kinder besserer Kreise ich meine; ihr selbst wollt sie losbekommen. Von alleine geht das aber nicht, man wird sie entschlossen abschütteln müssen. Also los, nutzt den Moment!

3. Leicht wird es nicht werden. Diese Art von Aktivisten ist in linken Organisationen überall hineingelassen worden. Die Sex Worker Action Group z.B. arbeitet eng mit der „Queer_Feminismus AG“ der Interventionistischen Linken Berlin zusammen.

Teil der FAU Berlin ist eine „Sex Workers Union“, die den Aufruf natürlich unterstützt hat.
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Dieser Verein hat seine Gründung als grosse Neuheit angekündigt, und in einer Szene, die kein Gedächtnis hat, schindet er wie die ganze Sex-Work-is-Work-Bewegung grossen Eindruck. Ja in der Tat, wäre es denn den Bordellprostituierten nicht viel mehr geholfen, wenn die Prostitution legalisiert und vom gesellschaftlichen Makel befreit würde? Seht her, wir haben jetzt sogar eine Gewerkschaft gegründet!

Es ist natürlich nicht das erste Mal, das diese Nummer abgezogen wird, und es wird auch diesesmal nicht anders ausgehen als die letzten Male. Eine solche Gewerkschaft wird nie die Armutsprostituierten organisieren, sie versucht es auch gar nicht ernsthaft; ihre Mitgliedschaft werden, wie jedesmal, gutbezahlte Escorts sein, die es sich aussuchen können und auch andere Möglichkeiten hätten. Also, wenn wir in der Metapher bleiben wollen, Freiberufler. Wenn deren Interessen dieselben wären wie die der Mehrzahl der Armutsprostituierten, würden sie vermutlich nicht so viel aufwenden, um sie zum Schweigen zu bringen.

Bisher interessiert das kaum jemanden in der Szene, und mangels ernsthaften Interesses sind es dann solche Gruppen, die in den linksradikalen Organisationen das Bild bestimmen: sie sind es, die in Sachen Feminismus und Prostituion die Aussenwirkung beherrschen, sie verstecken ihre eigenen Interessen hinter dem Namen einer grossen Organisation, und sie nutzen deren Infrastruktur, Respektabilität und Mobilisierungsfähigkeit.

Der Handel, der da geschlossen wird, ist sehr einseitig. Die Organsationen, die so etwas zulassen, werden allerdings bleibenden Schaden nehmen. Freie Debatte findet nicht statt, wo die Taktiken solcher Aktivisten vorherrschen. Aber die freie Debatte hat die Angewohnheit, sich für ihren Ausschluss zu rächen.

Namentlich die FAU Berlin muss sich Fragen stellen lassen. Niemand bestreitet das Recht, sich zu organisieren. Aber eine Gewerkschaft kann sich nicht von einer derart auftretenden Gruppe einfach kapern lassen. Nicht einmal die IG Metall lässt es zu, dass z.B. ihre Position zu Rüstungsfragen ganz vom Betriebsrat von Rheinmetall dominiert wird. Was die IL betrifft, stelle ich mir solche Fragen nicht mehr, weil ich das für eine ohnehin kaputte Organisation halte, deren Niedergang sich vielleicht noch einige Zeit hinzieht. In der IL stellt man keine Fragen mehr, aus der IL tritt man aus; dieser Prozess ist zu weit vorgeschritten, als dass diese Organisation je wieder mehr werden wird als eine leere Hülle.

Die Linke, wie sie heute ist, kommt mehr oder weniger aus den nuller und zehner Jahren; sie ist ein mehr oder weniger gescheiterter Versuch eines Neuaufbaus nach einem tiefen Bruch in den 1990ern. Alle ihre Strukturen und Doktrinen sind deshalb unvermeidbar mangelhaft; und ihre überfällige Erneuerung wird nicht ohne Konflikt gehen. Strategische Bündnisse, die damals Sinn hatten, haben diesen verloren. Die Basis, auf die sie sich stützen muss, ist gleichzeitig enger und weiter geworden. Ein Bruch steht bevor, alle fühlen das. Und Vorgänge wie dieser gehören zu den Vorbeben. Vielleicht diesesmal, vielleicht nächstes Mal wird es Konsequenzen geben.

4.
Es ist vielleicht der Ort, um ein bisschen grundsätzlicher zu werden. Die Linke hat heute kein Gefühl für die Wichtigkeit der freien Rede. Sie hat sich von den Konservativen eine Debatte um „Cancel Culture“ aufzwingen lassen und fühlt sich seitdem verpflichtet, eisern zu behaupten, so etwas gäbe es nicht; so etwas hätten sich Konservative ausgedacht, die beleidigt sind, weil ihnen niemand mehr zuhören will; oder aber, so etwas gäbe es sehr wohl, und das sei gut so, aber es sei eine Waffe derer da unten gegen die da oben, die ja von jeher bestimmt haben, wer über was reden darf.

Diese Reaktion ist von abgrundtiefer Blödheit. Sie übersieht, was mit Händen zu greifen ist, und überhört sogar, was sie selbst sagt. Niemals haben die Unterdrückten die Macht gehabt, den Mächtigen den Mund zu verbieten, und es ist auch heute nicht anders. Was wir sehen, ist eine Verschiebung unter denen, die zu den Mächtigen gehören.

Für die Unterdrückten ist die freie Rede die einzige und letzte Zuflucht, die letzte und wirksamste Waffe. Sie ist ihnen immer wieder unter allerlei Vorwänden versucht worden zu nehmen. Das war in der Vergangenheit so, und es ist nicht durch irgendeinen Zauber anders geworden.

Was sollen wir also über die denken, die da sagen, sie wissen genau, wer wie unterdrückt ist und wer deswegen das Recht hat zu reden und wer nicht? Die Frage beantwortet sich, während man sie stellt.

Diese neue Fraktion der Mächtigen begründet ihren Anspruch, zu herrschen, aus dem Wohl der Unterdrückten: aber so haben es alle Mächtigen von jeher getan. Sie geben vor, ein entwickeltes Wissen zu haben über die Bedingungen dieses Wohls. Dieses Wissen ist Müll. Auch das war immer so, bei allen, die herrschen wollten.

Niemand anders als die Unterdrückten hat das Recht, für die Unterdrückten zu sprechen. Das aber heisst: alle haben zu sprechen, in ihrem eignen Namen. Wessen Ansprüche gültig sind und wessen nicht, das wird man dann erst sehen. Und anders nicht. Ohne das gibt es keine Solidarität unter den Unterdrückten, und keine Aussicht auf Befreiung für sie.

Was wir statt dessen sehen, sieht aus wie Anmassung gegen die Menschen von ganz unten; eine Anmassung, die ganz gewöhnlich ist, seit es Gott und Staat gibt, und Prostitution.

Eine Linke, die nicht für die freie Rede eintritt, tritt für die Anmassung ein; für das Recht, den Unterdrückten den Mund zu verbieten; zu entscheiden, wer reden darf und wer nicht; für die Herrschaft. Eine solche Linke hat nicht das Recht, zu existieren; und sie existiert auch nicht als Linke, sie existiert als Anhängsel der Herrschaft.

Wir haben diese Dinge persönlich zu nehmen. Es gibt neben dem Recht, zu reden, auch das Recht, zu hören. Wer uns das nehmen will, versucht uns zu unterwerfen. Diese Leute müssen unsern Zorn kennenlernen, wenn wir freie Menschen sein wollen.

5. Wieder zum konkreten Vorgang. Es wäre einmal interessant zu sehen, wieviele Leute dem Aufruf dieser Gruppen wirklich folgen; ob sie, ausser dass sie sich hinter grossen Organisationen verstecken, denn wirklich so sehr von der allgemeinen Verdummung profitieren. Ob sie also mehr als ein Dutzend auf die Beine stellen, und welche. Vielleicht sieht man es demnächst einmal!

Dazu muss aber erst einmal ein Veranstalter standhaft genug sein. Wir haben das neulich schon bei den Vorfällen an der Humboldt-Universität gefragt; warum knicken denn die betreffenden Einrichtungen gar so schnell, so verdächtig schnell ein? Haben sie wirklich Angst vor einem grossen Mob?

Oder fürchtet man, dass der Mob nicht gar so gross sein würde wie erhofft? Das ganze schmutzige Spiel würde niemals funktionieren ohne die Komplizenschaft des Staats, der öffentlichen Einrichtungen und der „zivilgesellschaftlichen Institutionen“. Entweder aus Feigheit, oder durch aktive Zuarbeit. Was für Leute treffen denn die Entscheidungen in diesen Einrichtungen, wie kommen sie dahin und wem schulden sie Rechenschaft? Wir haben es hier ausserdem mit Berlin zu tun, und jeder weiss genug über dieses Staatsgebilde und die völlige Korruption aller seiner Institutionen.

Berlin wird beherrscht von denselben Parteien, die vor zwanzig Jahren das Bordellwesen dereguliert haben; und die fortschrittliche Politik dieser Leute hat vor wenigen Jahren diese Blüte getrieben:

Der Runde Tisch „Sexarbeit“ (nicht: Prostitution) – bestehend aus Senatsmitgliedern, Polizei, Beratungsstellen und „Sexarbeitenden“ – hatte die Aufgabe, die „Arbeitsbedingungen von Sexarbeiter*innen“ zu verbessern. … Die rettende Idee des Runden Tisches: Ein Klo-Häuschen! Natürlich! Auf „reine Vollzugsboxen“, die der Quartiersrat Schöneberg vorgeschlagen hatte, konnte sich der Runde Tisch nicht einigen. Aber: „Mit der Kombination Toilette, Verrichtungsbox sind wir auf dem richtigen Weg“, freute sich die Bezirksbürgermeisterin von Tempelhof-Schöneberg, Angelika Schöttler (SPD). Auch Barbara König (SPD), Staatssekretärin für Gesundheit und Gleichstellung, verkündete spritzig: „Die Bio-Toiletten im Kurfürstenkiez werden gut als Verrichtungsorte angenommen.“

Wir sehen, die IL ist in Berlin am Ende gar nicht so oppositionell! Das Nachbarschaftshaus in Kreuzberg ist, man kanns der Internetseite entnehmen, völlig von der Förderung durch diese Politik abhängig. Aber das alleine erklärt nicht die eiskalte Verachtung, die einer Referentin der Veranstaltung, einer ehemaligen Prostituierten dort durch das Personal entgegengebracht wird:

Sondern hier kommt noch etwas anderes dazu, eine ganz besondere Erbschaft der Schröder-Zeit. Es ist immer falsch gewesen, den Schröderismus als blossen „Neoliberalismus“ anzusehen. Schröder und seine Nachfolger haben nicht bloss den Unteren soziale Rechte genommen; sie haben auch einen neuen Flügel einer „fortschrittliche“ Bürokratie geschaffen, im Staatsapparat und im Vorfeld des Staats. Sie besteht aus einem unüberschaubaren Gewimmel von allerhand Demokratieförderungsinitiativen, Integrationspreisen und Stiftungen, nebst den staatlichen Stellen, aus derem Budget die Mittel kommen. Ihr Zweck ist der Staatszweck, aber der rotgrün definierte Staatszweck; ihr Personal kommt aus der studentischen Linken, und sie bietet erheblichen Teilen einer überflüssigen Akademikerklasse Lohn und Brot, und überhaupt eine gesellschaftliche Stellung.

Schröder, der damals ab 2000 geschafft hat, Teile der Antifa direkt aufzukaufen, hat es geschafft, einen erheblichen Teil dieses Milieus dauerhaft an Rot-Grün zu binden. Die Linke hat die Gefahr dieser Korruption damals sehr genau begriffen; man kanns in der „Phase 2“ von damals nachlesen. Aber das Misstrauen ist seither abgestumpft; zu verlockend die Aussicht, als Teil der Volksbeglückungsbürokratie an Einfluss zu kommen; zu abhängig ist eine Szene, die laut der „Kritik der Arbeit“ huldigt, von derartigem Einkommen.

Ganze Generationen sind in den Staatsapparat und sein Vorfeld hineingewachsen, die dieser Politik alles verdanken. Ein ganzes Milieu ist dadurch geprügt. Noch mehr, diese Schicht bildet die aktive Basis der Staatsparteien selbst. Für diem die sich minder privilegiert fühlen gibt es die Linksparteijugend, die diese Zurücksetzung durch doppelten Eifer kompensieren; und die radikale Linke, die sich aber bei alledem einbildet, mit ihr hätte das alles nichts zu tun, weil sie doch radikal sei. Man fragt ohnehin nicht oft, worin diese Radikalität denn besteht.

Was daraus aber wirklich gekommen ist, war ein diskreter Seitenwechsel. Ein gewisser Teil z.B. der Antifa-Szene begreift sich nicht mehr als Teil des Kampfes gegen die Herrschaft, sondern als Teil eines Reformprojekts von oben. Ein grösserer Teil begreift sich nicht so präzise, aber arbeitet genauso als Gesinnungswächter für das grün-liberale Bürgertum. Zusätzlich zerrüttet von dem Daueralarm der Jahre nach 2015, halten sie es für den einzigen Verbündeten gegen die, denen sie am meisten misstrauen: die gewöhnlichen Leute.

Aber diese waren es, die damals die AfD zurückgewiesen haben; nicht das grün-liberale Bürgertum hat diesen Kampf gewonnen, und nicht die „Bündnisse gegen Rechts“. Das Bündnis mit dem „fortschrittlichen“ Bürgertum bringt die Linke in Gegensatz zu ihnen. Es ist eine tödliche Gefahr. Wenn die Linke aus dieser Falle hinauswill, muss sie jetzt handeln; wer weiss, wann es zu spät ist. Es hat in Ungarn nicht anders angefangen.

6. Der Untergang der Linken im Ganzen ist auch in Deutschland heute eine reale Möglichkeit. Es wird ihr nichts helfen, dass sie in den letzten 10 Jahren begonnen hat, die „soziale Frage“ zu versuchen zu „besetzen“; jedenfalls, wenn sie sich weiter so benimmt, wie eine Besatzungsmacht.

Wir werden die nächsten Male ein bisschen darüber reden, wie eine solche „Besetzung“ dieses Themas funktioniert. Es gibt ja hier zwei sehr verschiedene Interessen: die ideologischen und Organisations-Interessen der linken Gruppen, und die Lebensinteressen der Bevölkerung, um die es geht. Natürlich gibt es dazwischen Konflikt. Es ist sehr spannend, zu sehen, wie in diesem bestimmte pseudo-linke Ideologeme benutzt werden, um die Herrschaft in der Debatte zu sichern. Die linken Aktivisten sind, sobald sie es mit einer ernsten sozialen Bewegung zu tun haben, in der Minderheit; sie haben diese Mittel nötig. Aber sie riskieren, die soziale Bewegung darüber abzuwürgen; sie hindern aktiv die Mehrheit, ihre Kraft zu entfalten. Aber das heisst, sie riskieren bewusst die Niederlage der Bewegung. Es wäre eine Niederlage für eine sehr lange Zeit.

Das ist sehr schön zu sehen dort, wo soziale Bewegungen mehr oder weniger gesteuert werden von den Aktivisten dieser Linken oder, je nachdem, Pseudo-Linken. Es sind hier, in klein, dieselben Mechanismen am Werk und zum Teil dieselben Akteure. Ob die Linke von innen zu retten ist, ob ihr Zustand sich ändern würde durch grosse gesellschftliche Bewegungen, das kann man alles nicht wissen.

Es hängt an vielen Dingen. Aber manche davon sind einfach. Und die Schlüsse, zu denen sie führen, sind auch einfach. Kann wer auch immer im Namen der Linken verhindern, dass Frauen aus der Prostitution über ihre Erfahrungen reden dürfen, ganz gleich welche Schlüsse sie daraus ziehen? Wenn nein, stellt man sich diesen Leuten entgegen? Vielleicht ist es auch zu unwichtig, es gibt ja immer etwas wichtigeres, aber wir reden hier über die Verfassung eurer Szene und wer entscheidet, wer den Mund auftun darf. Und auch ihr seid unwichtig, ehe ihr den Mund auftut.

Jörg Finkenberger

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Die nächste Krise XII

Ob der Artikel diese Überschrift behält, oder die N.Y. Times sie nach ihrer Gewohnheit dreimal verändern wird, um mehr Clicks zu generieren oder weil irgendjemand sich beleidigt zeigt, weiss ich nicht; aber am 9.9. hiess sie noch

Wartime Economics Comes to Europe

Unsere Linksliberalen, worunter man auch die Linkspartei zu verstehen hat, sind gewöhnlich zu feige, den Wirtschaftskrieg, den sie führen, auch einen Wirtschaftskrieg zu nennen. Solche Leute sind gewöhnlich auch nicht in der Lage, einen solchen zu führen und auch zu gewinnen, und in der Regel können sich solche poltischen Kräfte in so einer Lage nicht halten. Aber wir schweifen ab.

And Europe seems set to respond by doing what democracies always do when confronted with wartime inflation: imposing windfall profits taxes, price controls and (probably) rationing.

Die Sache nur, dass die derzeitige Inflation das zentrale Problem der kommenden Krise maskiert und überdeckt, nämlich die Tendenz zum katastrophalen Preisverfall und Ruin der Profite. Die entwickelten kapitalistischen Staaten setzen gerade ihr ganze politische Maschinerie in Gang, um den Preisauftrieb zu begrenzen. Sie setzen sich der Gefahr aus, auf die Deflation, wenn sie beginnt, nicht mehr reagieren zu können.

Die kapitalistische Ökonomie hat keine Wahl; sie navigiert wie Odysseus zwischen der Scylla der Inflation und der Charybdis des allgemeinen Preisverfalls, und wenn die eine sie nicht erwischt, bekommt sie die andere.

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Hat die No-Border-Bewegung aus 2016 gelernt?

Die Situation von 2015 wird nicht in derselben Form wiederkommen. Aber sehr wohl in irgendeiner anderen Form. Die politische Lage in Ost- und Südosteuropa hat sich geändert; die Regierungen damals waren auf fast selbstschädigende Weise flüchtlingsfeindlich. Aber es ist damals der No-Border-Bewegung auch nicht im Ansatz gelungen, Nutzen aus dem Zusammenbruch des Dublin-Systems zu ziehen. Die Regierungen der osteuropäischen Länder haben in der Tat keinerlei Interesse, die Flüchtlinge dort festzuhalten; aber die sinnvollste Forderung, Niederlassungsfreiheit für registrierte Flüchtlinge, ist damals nicht hörbr gewesen. Es haben damals auch nicht die Flüchtlinge selbst das Wort geführt, sondern die NGOs und die Organisationen der grünen Mittelschicht. Es kann sein, dass eine Selbstorganisation der Flüchtlinge zusammen zu einem besseren Ergebnis kommt. Das Osteuropa von heute ist auch nicht mehr dasselbe Osteuropa wie vor 5 Jahren; es fühlt sein neues Gewicht in der EU. Das Dublin-System kann fallen.

Einige Dinge zu solchen Ansätzen:

The Migrant Caravan I

The Migrant Caravan II

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Die Wende im ukrainischen Krieg

Wir haben nicht viel über den ukrainischen Krieg geschrieben, weil wir nicht über die „eigene, den Durchschnitt übersteigende Expertise zur Geschichte europäischer Kriege, modernem Kriegsgerät und Kriegsführung“ anderer Leute verfügen. Aber wir empfehlen, sich das hier genau anzusehen: es kam grad herum.

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Kupiansk ist ein kriegsentscheidender Eisenbahnknoten, der Nachschub für die russische Front um Osten hängt daran. Was sagt uns das?

Es kann alles sehr schnell gehen. Es wird nicht darum gehen, ob Moskau die Krim behält, sondern Wladiwostok: die Niederlage des russischen Reichs kann der Beginn einer neuen Epoche von Revolutionen sein.

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Würzburg 13.9. Vortr. Organisierung u. Arbeitskampf

Dienstag, 13.9.2022 19.00 Uhr
Organisierung und Arbeitskampf
Vortrag und Diskussion mit Jörg Finkenberger

Der Kern aller Organisierung ist die Belegschaft des Betriebs selbst, und ihr Anfang ist niedrigschwellig: die alltägliche Kooperation der Arbeitenden, ohne die der Betrieb selbst nicht möglich wäre. Darin liegen Möglichkeiten, die noch nicht ausreichend genutzt sind.

Es wird am Anfang viel ums Arbeitsrecht gehen, dann auch um Gewerkschafts-Geschichte aus Deutschland und anderen Ländern. Es gibt ein beiden Bereichen neue Entwicklungen, gute wie auch schlechte. Einige davon sind für eine neue Form von Organisierung und Gegenwehr von unten unerwartet günstig; vor allem über diese wollen wir heute Abend reden.

Denn Organisierung und Arbeitskampf sind nicht Dinge, die man passiv von den zuständigen Stellen entgegennimmt; sondern Dinge, die man selbst tut. Organisierung wird nicht von aussen hereingetragen. Sie lässt sich auch nicht durch ein Politikangebot von oben ersetzen. Und sie erschöpft sich nicht in den dazu vorgesehenen Formen. Organisierung ist die freie und selbstbewusste Teilnahme aller an der gemeinschaftlichen Aktion. Sie ist die einzige Garantie einer künftigen freien Gesellschaft, und einer Zukunft, die noch offen ist.

https://dasgrossethier.noblogs.org/files/2021/01/streik.pdf

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Die nächste Krise XI

Wir hatten geschrieben:

Das wirkliche Problem beginnt erst da, wo die Rezession globalen Charakter annimmt, d.h. die Einkommensausfälle des Auslands auf den eigenen Export zurückschlagen. Sobald die chinesischen Exportdaten ihr Vorzeichen wechseln, ist die Krise offiziell allgemein geworden.

Heute lesen wir:

Die Entwicklung von Chinas Außenhandel hat sich unerwartet verlangsamt.

Peking – Die Ausfuhren legten im August in US-Dollar berechnet nur noch mit einem Plus von 7,1 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum zu, wie der chinesische Zoll am Mittwoch in Chinas Hauptstadt Peking berichtete. Experten hatten ein zweistelliges Wachstum erwartet, nachdem die Exporte im Juli noch um 18 Prozent gestiegen waren.

Die Zeichen sind an der Wand. Aber das ist nicht mehr als erst der Anfang der Krise. Sie ist noch gar nicht voll ausgebrochen:

China has reached a point of no return in its battle to contain what could be the biggest property crash the world has ever seen, experts believe, creating a perilous moment for the country’s Communist leadership and the global economy.

Alles, was wir heute sehen, ist erst noch die langsame Eintrübung. Was für ein Gewitter daraus kommt, haben wir noch nicht gesehen.

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Aus gegebenem Anlass

Unsere Broschüre „Selbstverwaltete Betriebe“ findet sich hier.

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Protestbewegung oder Streik?

1
In der „Linkspartei“ und in der Linken aussenherum wird erbittert gestritten um die richtige Art, gegen die steigenden Lebenshaltungskosten zu protestieren. Zwei oder mehr Meinungen scheinen sich da gegenüberzustehen; aber wir haben nicht vor, Kreml-Astrologie zu betreiben. Das Innenleben dieser weitgehend gescheiterten Partei ist auf geradzu byzantinische Weise undurchschaubar. Wir haben aber an ein paar andere Dinge zu erinnern: an ältere Erfahrungen, aus der Protestbewegung von 2004, aus der diese Partei, wie sie heute ist, entstanden ist. Und es waren keine guten Erfahrungen.

Im Westen waren es sozialdemokratisch-gewerkschaftliche Kreise, im Osten linksparteiliche, die die Proteste damals organisiert hatten. Vage hoffte man wahrscheinlich auf eine langanhaltende und tief in der Gesellschaft verankerte Bewegung. Die Westlinken dachten dabei eher an ihre Bündnispolitik aus den 1980ern, die Ostlinken eher an eine Wiederaufnahme der gewaltigen Anti-Treuhand-Proteste der frühen 1990er. Daher auch die Brücke zum Montag als Protesttag.

Und beide waren bis zur Realitätsverleugnung überfordert mit der Sorte Volk, die da zum Teil auftauchte. Man steht auf sehr dünnem Boden, wenn man eine Klassenfrage in der Hand hat und eine Volksbewegung proklamiert. Natürlich werden sehr viele verschiedene Leute da auftauchen, die alle keine Ahnung haben, was sie miteinander gemeinsam haben; die allermeisten werden sprachlos herumstehen, und gewisse organisierte Minderheiten werden das Wort an sich reissen. Das sind die, die einen fertigen Plan haben. Die Nazis gehörten genauso zu diesen wie die MLPD.

In Würzburg passierte die Absonderlichkeit, dass die paar wenigen, die ein an der „Krisis“-Position angelehntes Flugblatt „gegen die Arbeit“ verteilten, aus der Kundgebung entfertn wurden; während der zweite Vorsitzende der örtlichen NPD mit seinen Leuten in Frieden gelassen wurde. Nicht, weil man ihn nicht gekannt hätte, der Mann war nicht zu verwechseln, er hatte ein Paar Springerstiefel auf den Kopf tätowiert und trug keine Haare darüber. Man hatte vorher mehrmals Demonstrationen gegen ihn angemeldet.

Natürlich war das eine strategische Entscheidung. Man muss mir nichts anderes erzählen. Anderswo gab es noch krassere Sachen zu sehen. Aus der Sorte von Linken, die das damals organisiert hatte, ging bald danach die Linkspartei in ihrer heutigen Form hervor; und diese Leute gehörten darin zu dem Wagenknecht-Flügel und sind mit diesem auch einstweilen in der Versenkung verschwunden. Sie werden noch einen Auferstehungstag sehen; aber etwas gutes ist von ihnen nicht zu erwarten, im Gegenteil.

2
Es ist ihnen weder gelungen, eine dauerhafte, selbsttragende Bewegung zu erzeugen, noch ist ihnen gelungen, diese Bewegung in der Hand zu behalten. Aber treten wir noch einen Schritt zurück.

Selbst wenn es ihr gelänge, was ist dann? Kann eine Bewegung, die „in der Hand“ einer bestehenden politischen Partei ist, überhaupt bestehen, und was kann sie zuwege bringen? Eine Bewegung braucht Autonomie, eigenes Selbstbewusstsein, eigene Tätigkeit. Sie wird neue Leute hervorbringen und neue Fragen stellen. Und unsere Linke will gerade das gar nicht.

Unsere Linke ist voll von Leuten, denen die Notwendigkeit einer Veränderung gar nicht eingeht. Diese Leute können den heutigen Zustand der Linken betrachten, ohne dass ihnen die Tränen kommen. Sie haben ihn ja auch verursacht. Jedes drängende Bedürfnis nach einem Neuanfang fehlt ihnen naturgemäss völlig. Es ist in der Tat alles nach ihrem Geschmack und ihrem Bedürfnis eingerichtet, also ist alles bestens.

Wie die ältere Linke, die Wagenknecht-Linke, eine Protestbewegung in den Sand gesetzt hat, haben wir damals gesehen. Will man sich vorstellen, wie die heutige Linke das anfangen wollte? Die satirischste Phantasie würde nicht ausreichen. Die heutige Linke viel paranoider und gleichzeitig unbeliebter als jemals; sie hält alle Gedanken, die auch ausserhalb ihrer eigenen Kaste bekannt sind, für potentiell faschistisch. Sie müsste entweder den grössten Teil der Bevölkerung direkt von ihren Aufzügen ausschliessen; oder sie müsste die Sache so oberflächlich halten, dass ihre Spezialideen gar nicht zur Sprache kommen und zur Debatte gestellt werden.

Es ist vollkommen begreiflich, dass die Sache so erbittert diskutiert wird. Aber das Dilemma wird dadurch nur realer. Wenn die Linke die Sache nicht in die Hand zu nehmen in der Lage ist, werden es ohne Zweifel die Rechten tun, da haben die einen vollkommen recht. Und die anderen umgekehrt, dass eine Hegemonie dieser Linken sich niemals wird halten lassen. Wenn es die Linke von 2004 nicht konnte, wird es diese von heute erst recht nicht können.

3
Niemand hat eine Bewegung „in der Hand“. Es ist sonst keine Bewegung. Bewegungen entstehen, wenn die bestehenden Formen und Organisationen unfähig sind, mit einem drängenden Problem weiterzukommen. Sie werden nicht ins Leben gerufen von diesen Organisationen. Genausowenig kann eine lebendige Bewegung ohne weiteres übernommen werden. Eine Scheinbewegung, die dazu gedacht ist, sich an eine vorher bestehende Kraft passiv anzulehnen, kann allerdings leicht übernommen werden: eine Bewegung ohne innere Debatte, ohne eigenes Selbstbewusstsein.

Der Charakter einer Bewegung wird auch nicht vorrangig durch möglichst disziplinierte Bewegungs-Polizei entschieden, oder durch die richtige Gesinnung die ersten Anmelder. Der Charakter einer Bewegung wird dadurch entschieden, welche Sorte Leute sie anzieht, und welche notwendig im Mittelpunkt stehen. Der Charakter einer Bewegung wird also, unter anderem, entschieden von dem Ausdrucksmittel, oder besser der Kampfform.

Eine Latschdemo, an der alle nur als Bürger unter Bürgern teilnehmen, die ihre Meinung sagen, zieht unpolitische Leute an. Ein offenes Mikrofom zieht Sektierer an. Eine Blockade zieht Aktivisten an, die sich für eine Elite halten. Das ist nicht neu und es ist alles kein Zufall. Und diese Leute geben dann den Ton an. Eine Latschdemo wird auch vom grössten schwarzen Block nicht radikalisiert; und gegen den gewiegten Sektierer am offnen Mikrofon kommt man nur an, wenn man den Stecker in der Hand hat.

Es wird viel über die Lehren von 2004 geredet, aber nie über die merkwürdigste dieser Lehren. In den grossen Belegschaften ist nämlich damals ernsthaft darüber gesprochen worden, gegen die Gesetze in den politischen Streik zu treten. Genau dieselben Gewerkschafter, die die Protest-Demos organisiert haben, sind es gewesen, die das mit viel Mühe verhindert haben.

Ein Streik ist etwas ganz anderes als eine Protestdemonstration. Ein Streik ist nicht die Äusserung einer ansonsten gleichgültigen Meinungen, ein Streik ist eine Tatsache und schafft Tatsachen. Es wäre vollkommen närrisch, z.B. gegen die Inflation zu protestieren; man könnte genausogut gegen die Zeit protestieren. Jede konkretere Forderung, die sich nicht sofort ins Nirgendwo verflüchtigen soll, kann nur Sinn haben im Rahmen einer Politik, die schon im Detail beschrieben ist; das heisst, ihr richtiger Ort ist die parlamentarische Opposition, nicht die Bewegung. Die Art und Weise, wie die Arbeiterklasse gegen die Inflation protestiert, ist dagegen nicht der Appell an den Staat, sondern der Lohnstreik.

Bei einem Streik haben weder Laufpublikum noch Sektierer viel zu melden, und sie finden auch kein so bereitwilliges und leichtgläubiges Publikum; weswegen sie auch gewöhnlich nicht wie Heuschrecken über solche Veranstaltungen herfallen. Bei einem Streik hat man es nicht mit Leuten zu tun, die im Grunde nicht wissen, was sie wollen, sondern diese Leute haben sich schon zu einer bestimmten Entschlossenheit durchgerungen. Die Struktur und die Dynamik der Sache sind ganz anders; die Streikenden und nur diese haben das Heft in der Hand. Weiterlesen

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Die nächste Krise X

Etwas verspätet; diese Sachen sind einige Tage alt.

Der Grundstücksmarkt in den USA zeigt, wie schon einmal beschrieben, den paradoxen Anfang der deflationären Entwicklung. Zur Erinnerung, stetig steigende Grundstückspreise gilt in dieser Gesellschaft als Indikator für steigenden allgemeinen Wohlstand; ihr Sinken bedeutet in der Regel den Beginn der Krise. Die Verkäufe gehen zurück, während die Preise eine Weile weiter steigen; ja, gerade deshalb. Wie im Zeichentrickfilm rennt der Markt noch eine Weile weiter, nachdem er über das Kliff ist.

Higher interest rates are having a brutal effect on the housing market, driving up the cost of home-buying by hundreds of dollars each month and pummeling demand as a result. Existing home sales have plunged nearly 30% from a January high. Meanwhile, home prices are still skyrocketing and making affordability even worse. „We’re witnessing a housing recession in terms of declining home sales and home building; however, it’s not a recession in home prices,“ National Association of Realtors economist Lawrence Yun said Thursday, noting the median existing home price has fallen to $403,800 from a record high in June but is still up nearly 11% from one year ago.

Dass in den USA die Preisbewegung derart verschachtelt aussieht, zeigt, dass die Rezession anders als 2008 ihren Ursprung wahrscheinlich nicht in der amerikanischen Ökonomie hat. In der kapitalistischen Ökonomie Chinas ist die Krise viel weiter fortgeschritten. Interessant die Einschätzung des grössten privaten chinesischen Konzerns:

In a leaked internal memo, Ren Zhengfei told Huawei staff “the chill will be felt by everyone” and the company must focus on profit over cashflow and expansion if it is to survive the next three years, indicating further job cuts and divestments.

“Huawei must reduce any overly optimistic expectations for the future and until 2023 or even 2025, we must make survival the most important guideline, and not only survive but survive with quality.”

In dieser Lage nützen auch Zinssenkungen nicht mehr viel.

Rate cuts by China failed to save regional sharemarkets from losses on Monday as investors were beset by global growth fears and the prospect of more policy tightening before the Jackson Hole gathering of central bankers.

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