Buchbesprechung: Neuestes aus der Spekulativen Physik


Dieser Artikel, und fast alle dort besprochenen Positionen, stehen unter einem sehr merkwürdigen Vorbehalt. Es könnte sich zeigen, dass der neuere Ansatz von Peter Gerwinski ihnen den Boden unter den Füssen wegzieht. In diesem Falle würde ich sehr lachen. Und vermutlich Sabine Hossenfelder auch.

Smolin, Three Roads to Quantum Gravity, 2001
Barbour, The End of Time, 2001
Zeh, The Physical Basis of the Direction of Time, 2007
Smolin, Time Reborn, 2013
Smolin u. Unger, The Singular Universe and the Reality of Time, 2014
Rovelli, The Order of Time, 2018
Hossenfelder, Lost in Math, 2018
Smolin, Einsteins Unfinished Revolution, 2019
Baggott, Quantum Space, 2019
Barbour, The Janus Point, 2020

Die Grundlagenkrise der Physik

Die genannten Bücher sind grösstenteils keine wissenschaftlichen Veröffentlichungen im strengen Sinn. Sie sind aber auch keine populärwissenschaftlichen oder Pop-sci-Bücher. Sondern selbst die, die in essayistischem Plauderton gehalten sind, zitieren und paraphrasieren ausführlich allerhand bekanntere und auch entlegenere wissenschaftliche Arbeiten. Sie versuchen nicht nur um der breiteren Leserschaft oder der „Allgemeinverständlichkeit“ willen, auf die Sprache der Formeln zu verzichten; sie haben dafür einen eigenen methodischen Grund.

Nicht alles in der Physik steht in den Gleichungen; sondern was man unter diesen Gleichungen sich denken soll, das nennt man die Interpretation. Man braucht eine Interpretation nicht kennen, um eine Gleichung zu lösen; das heisst aber, die Gleichung selbst sagt einem recht wenig darüber, was bei dem Vorgang tatsächlich geschieht, den sie beschreibt. Auch Maschinen können aus den Daten, die man eingibt, Gleichungen finden; wenn man sie richtig programmiert, sind sie sogar richtig, d.h. zutreffend. Aber niemand kann einem sagen, warum sie richtig sind und was sie wirklich bedeuten, d.h. wie man aus ihnen sinnvolle und nichttriviale neue Gleichungen gewinnt.

Das Problem der gegenwärtigen Physik ist gerade dieses, dass solche neuen Gleichungen seit nunmehr 50 Jahren praktisch nicht mehr gefunden werden; seit 1973. So etwas ist in der neueren Geschichte der Wissenschaft fast ohne Beispiel; und es ist in der Tat erst in den letzten 10 Jahren, dass man sich über diese Einsicht nicht mehr hinwegtäuschen kann. In den 1980ern versprach die sogenannte erste String-Revolution eine tragfähige Grundlage der Physik zu finden; und nach deren schmählichem Scheitern in den 1990ern die sogenannte zweite String-Revolution genauso, und auch dieser ist es nicht besser gegangen, die experimentellen Ergebnisse am Tevatron und später LHC haben wenig von ihnen übriggelassen, und die Krise manifestierte sich ab 2000 in den sogenannten String-Kriegen in der Physik, von denen unsre Bücher hier spätere Ausläufer sind.

Es hatte sich bisher nie eine Idee abgezeichnet, wie die Krise ausgehen könnte; alle Versuche, sie zu überwinden, sind zu offensichtlich selbst Symptome der Krise gewesen. Es ist ja leicht, über die String-Theoretiker zu spotten, weil alle es tun und weil es solchen Spass macht. Sie sind in ihrer legendären sektenhaften Arroganz und Verstiegenheit gewissermassen die Postmodernisten der Physik. Aber das ganze Geschrei um die String-Theorie ist ja Folge, nicht Ursache der Krise; und selbst Smolin, ein Lieblingsfeind der String-Szene, gesteht ihren Mühen durchaus eine wenn auch untergeordnete Existenzberechtigung und einen Platz in seinem eignen Lösungsvorschlag zu, selbst der berühmten M-Theorie, obwohl niemand diese je zu Gesicht bekommen hat.

Die Grundlagenkrise der neueren Physik kommt, wie allgemein bekannt sein dürfte, daher, dass sie zwar teilweise Beschreibungen für die Grundlagen der Naturwissenschaft erarbeitet hat, aber diese teilweisen Beschreibungen untereinander nicht zusammenpassen wollen; sie sind inkonsistent, sie lassen sich gegenseitig nicht auseinander ableiten, die ganze Wissenschaft ist daher unvollständig. Alle Naturwissenschaften ruhen auf der Physik, diese aber wiederum auf den beiden Relativitätstheorien und der Quantentheorie. Eine Beschreibung, die alle diese drei Theorien in sich enthält, das heisst eine wahre Grundlegung, ist nicht gefunden worden; das heisst, die Grundlagen der Physik sind ungenügend verstanden.

Die Lage ist vielleicht gut beschrieben mit der Wheeler-DeWitt-Gleichung. Das ist eigentlich eine nach der allgemeinen Relativitätstheorie umformulierte zeitunabhängige Schrödinger-Gleichung, sie enthält also womöglich mindestens einen Teil der gesuchten grundlegenden Theorie, eine quantentheoretische Formulierung der Relativitätstheorie oder umgekehrt. Aber aus der Formel ist das kaum herauszubekommen, man kann sie auch nicht überprüfen, denn sie rechnet sich nicht, und es ist nur durch Zufall in den 1980ern dem Smolin und anderen eine Klasse von Lösungen zu finden gelungen, und auch mit diesen Lösungen ist nicht allzuviel anzufangen. Smolin und übrigens die meisten anderen, die wir hier besprechen, gehören zu der Schule der Schleifen-Quantengravitation, der grössten Oppositionsschule zur Stringtheorie; und, wie man sagen wird, auch der Schule, die bisher die schöpferischsten Köpfe hervorgebracht hat, und die unnachgiebigsten Kritiker des bestehenden Zustands.

Die theoretische Physik hat die letzten 50 Jahre keine Fortschritte bei ihren Grundlagen gemacht. Es gibt dafür eine Reihe von Gründen, und auch dafür, dass sie trotzdem anscheinend unbeirrt ihren Stiefel weitertreibt, statt ihren Ansatz zu kritisieren und dann anders anzufangen: die wissenschaftssoziologischen Gründe, dass z.B. die akademische Welt genauso organisiert ist wie ein die mittelalterlichen Klöster, nämlich um altes Wissen zu bewahren und neues Wissen zu unterdrücken (Smolin, Einsteins Unfinished Revolution); die Erosion der wissenschaftlichen Methode, die eintritt, wenn Symmetrie und Ästhetik des mathematischen Formalismus als Wahrheitskriterium behandelt werden (Hossenfelder); aber auch Gründe, die in der Sache selbst liegen, die auf abgeschlossne Systeme ausgerichtete Richtung der Untersuchung (Smolin, Barbour), das Desinteresse an allem, was nicht in den Formeln aufgeht, die Verachtung philosophischer Fragen, die allerdings in der Unfähigkeit der Gegenwartsphilosophie eine gewisse Rechtfertigung haben könnte (Barbour). Und die Tatsache, dass von Theorie zu Experiment heute 50 Jahre und mehr vergehen, und dazwischen die blanke Spekulation regiert, d.h. die Ansprüche der Theoretiker (Smolin, Hossenfelder); und natürlich aber auch der Unwille zur echten Revolution, der anerzogene Konformismus der Ehrgeizigen (ebd.), der die wenigen Leute, die neue Gedanken denken wollen, zu Sonderlingen macht. Das ist in vielen Feldern heute so: Emeriti, oder Privatgelehrte, der Rest hütet sich heute, den Mund nicht aufzutun.

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Die „Vergesellschaftungs-Konferenz“ in Berlin

Sehr guter Bericht von der Vergesellschaftungskonferenz und den Fragen, die dort nicht behandelt worden sind:

„Die Akteure der Vergesellschaftung sitzen hier!“ Von da an versäumte es kaum ein Beitrag auf den Erfolg der Initiative

hinzuweisen.

Dass das Thema Enteignung überhaupt wieder Wellen schlagen kann – gerade in einem Land wie Deutschland, in dem im herrschenden politischen Diskurs Enteignung, DDR und Satanismus dasselbe meinen – ist wohl tatsächlich die große Leistung des Referendums von 2021 und der Mobilisierung dafür gewesen. Aber müsste man den Erfolg einer politischen Initiative nicht an dem Ziel messen, das sie zu erreichen vorgibt?

Erstens: Ist dies eine verallgemeinerbare Strategie? Würde dies nicht bedeuten, dass man im Grunde für jeden einzelnen Konzern eine Initiative „VW enteignen“, „ALDI enteignen“ etc. ins Leben rufen und jedes mal die entsprechende Mobilisierungsmasse auf die Straße bringen müsste? Und zweitens: wären bei einer allgemeinen Vergesellschaftung – die, wie es die Journalistin Laura Meschede auf dem Abschlusspanel mit Blick auf die Eigentumsfrage endlich einmal aussprach, nur kommunistisch sein kann – nicht Zweck und Mittel identisch, in dem Sinne, dass eine solche Vergesellschaftung auch nur von der Gesellschaft vorgenommen werden kann und nicht durch den Staat?

Nur allzu sichtbar würde dadurch, dass die ganze politische Rhetorik durchzogen ist von dem Jargon des Event- und Kampagnenmanagments, so als gäbe es zwischen Wahlkampf, Marketing und einer wirklichen sozialen Bewegung keine Unterschiede mehr. Das zeigt sich an Kleinigkeiten, wie etwa dem alljährlichen Gerede vom „heißen Herbst“, einem griffigen Werbeslogan, der keine andere Funktion besitzt als das eigene Klüngel bei Laune zu halten, ebenso wie an der ewig großen Frage: „Wie erreichen wir die Leute?“ An dieser Frage erkennt man immer, dass Aktivist*innen unter sich sind, und dass sie sich in erster Linie als Aktivist*innen betrachten

Ganz frappierend war in dieser Hinsicht das Statement der Ökonomin Elena Hofferberth in dem Panel „Planen gegen die Klimakrise“: „Wir sind doch alle Konsumenten und politische Subjekte“. Offenbar fällt es nicht Wenigen schwer sich selber noch als produktive Arbeiter*innen zu sehen. Daher war es dann auch nicht verwunderlich, dass in Hofferberths vorgestelltem Konzept einer makroökonomischen Koordination, bei der in einer gesamtgesellschaftlichen Planung die Verteilung von Ressourcen und Arbeit entlang von im Vorfeld ausgehandelten ökologischen und sozialen Zielen organisiert werden soll, die Produzent*innen überhaupt nicht vorkamen. Stattdessen sollen Expertengremien übergreifend an einer irgendwie demokratischen Planerstellung mitwirken. Wer sind denn aber die Expert*innen für die Produktionsprozesse der verschiedenen Güter, wenn nicht die Produzent*innen selbst?

So nimmt es denn auch wenig Wunder, dass die Aktivist*in von heute morgen schon – wenn es mit der akademischen Karriere nichts werden sollte – in irgendwelchen Parteigremien oder in Gewerkschafts- oder NGO-Büros sitzt und an eben der Welt mitwirkt, gegen die man einst gekämpft hat. Welche Arbeitgeber hätte man auch sonst? Genau diese prekäre gesellschaftliche Stellung dürfte in vielen Fällen dafür verantwortlich sein, dass so viele Aktivist*innen die Erfahrungen, die sie in ihrem übrigen Lebenszusammenhang machen, ebenso wenig wie ihre dort erworbenen Fähigkeiten kaum in die politische Tätigkeit miteinbeziehen. Dort wo sie Aktivist*innen sind, sind sie nicht Schüler, Studierende oder Berufstätige und dort, wo sie Schüler, Studierende, Berufstätige sind, sind sie nicht politisch

Weil die Menschen aller Gestaltungsmittel beraubt sind, bleibt ihnen nichts anderes übrig, als ihren politischen Willen kundzutun, statt ihn umzusetzen. Dies ist die strukturelle Ohnmacht, die dem politischen Engagement von vornherein eingeschrieben ist und die immer auch ihren Schatten über Initiativen wie DWe wirft. Wir behaupten nicht, dass das von den Akteuren der DWe nicht registriert werden würde; noch würden wir solche Ohnmacht als Verschulden der Akteure betrachten. Doch wird es problematisch, wenn die Selbstkritik ausbleibt und man sich als Erfolg lediglich die gelungene Mobilisierung gutschreibt. Dann liefert man sich dem Verdacht aus, dass man die gängigen Spielregeln akzeptiert hat und Mehrheiten und Medienwirksamkeit wichtiger sind als das eigentliche Ziel.

Nicht wenige beteuerten, dass mit Vergesellschaftung etwas ganz anderes gemeint sei als Verstaatlichung. So sind Statements, wie etwa die von Jonna Klick in dem Panel „Aktuelle Ansätze progressiver Ökonomie im Gespräch zur Demokratisierung von Wirtschaft“, dass mit dem Staat als „ideellem Gesamtkapitalisten“ nichts zu gewinnen sei, durchaus zu begrüßen. Aber wenn nicht – wie bei Klick – ein recht unspezifischer Commons-Ansatz hinter der Staatskritik zu finden war, konnte man sich doch kaum des Verdachts erwehren, dass unter Vergesellschaftung etwas anderes verstanden worden wäre als – die Verstaatlichung. Dabei helfen auch keine Wortspielchen wie sie von Silke van Dyk und Robin Celikates vorgetragen wurden, dass man das Öffentliche und Politische nicht mehr als das Staatliche begreifen dürfe. Ähnlich verwirrend hieß es dann auch auf dem Freitagabendpanel „Demokratische Wirtschaft – eine alternative politische Ökonomie nach der Vergesellschaftung“, dass man den Begriff der Vergesellschaftung nicht auf die Eigentumsfrage einengen dürfe. (Dass dann z.B. auch Platzbesetzungen kurzerhand zu Vergesellschaftungen werden, erlebte man dann wohl auch als Verheißung statt als Problem.)

Offenbar saßen die Akteure der Vergesellschaftung doch nicht auf den Bänken der Hörsäle.

Wir stimmen meistens zu; bemerken allerdings eine Unsicherheit am Schluss des Textes. Dass der Sozialismus keine theoretische Angelegenheit von Intellektuellen sein soll, muss das auch für uns gelten; wir können nicht die Ideen der Rätekommunisten vor uns her tragen als eine weitere fertig ausgearbeitete Parteidoktrin und Erlösungslehre, die dann von der „wirklichen Bewegung“ anzunehmen sein wird. In diese Lage gerät man unfreiwillig, wenn man die rätekommunistischen Ideen mit einem solchen Kongress vergleicht: gemessen an der allgemeinen Technokratie nehmen sie selbst ein blasses und sektiererisches Aussehen an. Das kommt, weil sie ihr wirkliches Leben an einem ganz anderen Ort haben, und in einer ganz anderen Art der Bewegung; sehen wir also zu, dass wir eine solche Bewegung zu sehen bekommen! Wenn die Ideen wahr sind, d.h. ein wirkliches Bedürfnis ausdrücken, werden sie dort nicht erst von aussen hineingetragen werden müssen.

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Vortrag: Die neuere Pseudo-Linke, 24.11. Freiburg u.a.

Unsre Artikelreihe über die Umtriebe der neueren Pseudo-Linken (bisherige Teile: I II III IV V) gibt es jetzt auch als Vortrag.

Den Anfang machen wir am 24.11.2022 in Freiburg beim ca ira-Verlag:

)

Das Büro dort ist recht klein und Freiburg ist von fast allen Orten weit entfernt, aber:

Alle Vorträge finden als Hybrid-Veranstaltungen in Präsenz mit Zoom-Übertragung statt.Zoom-Link: https://us06web.zoom.us/j/88664348128?pwd=alZJWDZFalJlK2FGclBUMW9BdklGUT09
Aufgrund der eingeschränkten Anzahl an Sitzplätzen am Veranstaltungsort bitten wir um Anmeldung unter jourfixe@isf-freiburg.org.

Um einen Mitschnitt werden wir uns kümmern.Linke zum Facebook-Event.

Am 11.12. um 18.00 gibts dasselbe auf Einladung des Infoladen Leipzig im Conne Island; Link zum Facebook-Event. Wir werden darauf noch einmal gesondert hinweisen.

Der Referent lässt sich zu den üblichen Konditionen (Fahrtkosten, Unterkunft, ordentliches Sicherheitskonzept) unter dasgrossethier@gmx.de buchen. Termine sind ab Januar 2023 möglich.

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„Stalinisiert euch!“ Anstelle einer Buchbesprechung

Fathers of nations / Sons of the bitches
Sickle of death / Hammer of witches
Bald devils / Bearded goats
Twisted brains / Sold souls

I saw the slut on the Red Beast

E.S.T., „Red Beast“

Um gleich einzusteigen: „Kommunismus für Erwachsene. Linkes Bewusstsein und die Wirklichkeit des Sozialismus“ (2019) von Marlon Grohn, manchen wohl eher bekannt als stalinistischer Internet-Troll vom Blog Lyzis Welt, ist ein beeindruckendes Buch. Zehn Jahre Herumtrollen im Internet qualifizieren einen, wie es aussieht, zum Buchautor und Feuilletonisten, der im neuen deutschland für Dietmar Dath Dithyramben schreiben darf. Das Buch ist etwa so beeindruckend wie der Anblick und der Lärm eines Panzers, der auf einen zurollt. Nicht überzeugend eben, ein Panzer muss auch niemand überzeugen. Das wiederum ist für ein geistvolles Medium (und Geister kommen im Buch in großen Mengen vor), das zum richtigen Denken und, klar, zum Handeln inspirieren soll, kein Kompliment. Es hat einiges an Grübeleien in den letzten zwei Lockdowns gebraucht, wie und ob ich überhaupt darauf reagieren soll. So durch die Lektüre verblödet hab mich nur noch nach Thomas Mauls „Drei Studien zu Paulus“ gefühlt, und das ist ein Weilchen her. Letzten Endes habe ich mich dazu entschieden nicht der überwältigend guten oder schlechten Qualität wegen, sondern wegen der Frage: Was soll mir diese Schmähschrift über den Autor und vielmehr über die Leute sagen, die davon angesprochen werden. Denn solche gibt es, das habe ich schon registriert. Und ich glaube, diese Frage wird uns in der nächsten Zeit öfter beschäftigen, sollten die besagten Leute sich doch noch dazu entschließen, ihre Peter Hacks-Gedichtebändchen beiseite zu legen und wirklich so tätig zu werden, wie sie es ankündigen.

Die sog. autoritäre Linke schreibt über ihre Pläne der Weltumgestaltung und welchen Platz darin sie sich selbst darin vorsieht mal mehr, mal weniger ehrlich. Dabei irrt sie sich in Bezug auf beides mal mehr, mal weniger. Das ist normal und unser Autor ist durchaus für den innerlinken Sektenstreit. Doch Grohn ist „mir der Liebste, alle anderen lass‘ ich ersauf‘“, wie der weltberühmte Dramatiker Anatol Blasch in einem Theaterstück einem Goethe gleich niemand geringeren als Gott selbst sprechen ließ. Er verteidigt den sog. „real existierenden“ und den eventuell noch kommenden Sozialismus, der wahrscheinlich genau wie jener „real existierende“ Sozialismus aussehen wird, so abstrakt-fanatisch, wie es nur ein in Westdeutschland und zu spät geborener Geisteswissenschaftler tun kann. Ich persönlich habe immerhin 10 Jahre meines Lebens im sog. Sozialismus gelebt, aber die Erfahrungen meiner Familie z.B. (ich habe ja nicht wirklich welche, nur Eindrücke) hätten in diesem Zusammenhang eh keine Gültigkeit. Wozu sich mit Subjektivem in der Gesellschaft beschäftigen, wenn man bereits den Weltgeist höchstpersönlich auf seiner Seite hat? Es wird viel über Objektivität und materielle bzw. historische Notwendigkeiten geredet, aber es geht gar nicht darum. Die Person Stalin interessiere ihn nicht, sagt Grohn; diese oder jene Umstände, theoretische Verrenkungen und praktische Entscheidungen, die dazu geführt haben, dass jeder praktische Versuch, die Welt in wahrsten Sinne des Wortes menschlich, sprich: kommunistisch zu gestalten, die bloße Idee des Kommunismus selbst von der Praxis des „real existierenden Sozialismus“ nachhaltig diskreditiert seien, auch nicht. Man wird allerdings über Planwirtschaft, über gesellschaftliche Synthesis, über das Fortbestehen der polit-ökonomischen Kategorien, des Rechts und des Staates in der sozialistischen Gesellschaft, auf welche Kosten und in welchem Ausmaß z.B. Industrialisierung geht u.Ä. reden müssen. Auch über die Revolution, sprich: die Frage der organisierten Gewalt und der Verteidigung der Revolution gegen innere und äußere Feinde. Aber nicht mehr mit ihm, denn das alles scheint ihn nicht zu interessieren. Am Ende steht die These, dass man nur als Stalinist den hegelschen absoluten Geist erklimmt (S. 195), zu dem dann die gemeine Wirklichkeit von alleine auf den Knien kriechen soll. Im Grunde genommen sind die „Erswachsenenkommunisten“ das – idealistisch und voluntaristisch durch und durch und merken das selber nicht einmal, wie im Übrigen alle Leute, auf die der Weltgeist hinuntergring und die dann Linksintellektuelle geworden sind. (1)

Zu Beginn gibt es eine Einleitung, dann „Dünkel und Erhellendes“, eine Art Absichtserklärung und Methodendarlegung, danach eine Art Fortsetzung davon, die in die aktualisierten Thesen zum Stalinismus des 21. Jahrhunderts übergeht. Überall steht ungefähr dasselbe. In erster, zweiter und dritter Linie ist dieses Buch eine Pöbelei gegen die verakademisierte bundesdeutsche Regenbogen-Einhorn-Linke. Unsere Klassiker hätten schließlich auch gegen andere Linke gepöbelt. Das alleine wird zwar nicht ausreichen, um sich zum marxistischen Klassiker zu qualifizieren, aber an sich schon eine normale linke Tätigkeit. Wer liest das nicht gerne? Relativ gleich wird ein Angriff auf die praktische Untätigkeit und folglich völlige Nutzlosigkeit der Kritischen Theorie formuliert, für die stellvertretend ein gewisser Rajko Eichkamp steht. Dieser steht aber nicht für meinen Begriff der Kritischen Theorie und vermutlich überhaupt für keinen anderen, wie die alten Männer wie z.B. Ebermann oder Pohrt im Übrigen auch nicht. Hier könnte man sich viel heiße Luft aus Grohns Einleitung sparen und zu einem wichtigen Punkt übergehen: Nur das Ganze soll, wie es bei Hegel heißt, wahr sein. Der stockbürgerliche Adorno, für den das Ganze nur unwahr sein sollte, habe uns ein falsches Weltbild in die Köpfe gesetzt. Wir sind mit einer gesellschaftlichen Totalität konfrontiert, das sieht Grohn auch. Auszubrechen ist nur möglich, wenn sie aufzeigen lässt, dass das Ganze eben nicht alles ist, was möglich ist, dass es Perspektiven aus etwas anderes und besseres gibt. Die Aufgabe der Kritischen Theorie ist es, die Praxis nach solchen Perspektiven durchzuforsten und ihr dadurch zu helfen, und nicht allen praktischen Versuchen krampfhaft nachzuweisen, nichts sei mehr möglich, alles Hopfen und Malz in der Geschichte endgültig verloren, Individuen seien vollständig abgerichtet oder seien gar keine mehr usw. (Wozu Pohrt, Ebermann und umso mehr Eichkamp mit seinen früheren Konsorten einiges beigetragen haben). Das Nichtidentische in der Kritischen Theorie steht für eine unüberbrückbare Differenz zwischen Objekt und Begriff. Es ist keine Versöhnung zwischen ihnen möglich, kein Aufgehen in einer Identität mit dem Falschen, was Affirmation unmenschlicher Zustände bedeuten würde. Sind die Einzelaspekte unmenschlich, wie ist das ganze wahr? Beim Idealisten Hegel ist das Ganze ein Resultat und soll am Ende einer Entwicklung stehen. Das und der Umstand, dass diese Entwicklung ideell und praktisch „unfragmentiert“ in Grohns Kopf sich bereits vollzogen hat, freut mich außerordentlich. Das endgültige Resultat des materiellen Universums, nicht des Ideenhimmels möge mir Grohn erst mal zeigen. „Das Wahre ist das Ganze“ in stalinistischer Auslegung ist die theoretische Vorwegnahme einer gewaltsamen Stilllegung der gesellschaftlichen Dialektik und eines Stillstands im Zustand der permanenten terroristischen Mobilisierung aller gesellschaftlicher Kräfte für den wirtschaftlichen Aufbau, der nicht einmal in der Sowjetunion oder in VR China ewig andauern konnte. Die Dialektik geht eben nur so weit, bis zum rüden preußischen Sozialismus samt seinem verflachten, dogmatischen Bismarxismus und muss am Schutzstreifen Halt machen. Denn da brummt ihr der anfangs erwähnte Grohn‘sche Panzer entgegen. Weiterlesen

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22.10. Kiezhaus Wedding: Arbeitszeitrechnung

Lakonisch heissts im Einladungstext:

Was heißt Arbeitszeitrechnung und warum brauchen wir sie in einer postkapitalistischen Gesellschaft? Welche Rolle spielen Arbeitszertifikate, Produktionspläne, Buchgeldkonten, Betriebsräte und die öffentliche Buchhaltung?

Diese und andere Fragen möchten wir mit euch am Samstag, 22.10.2022, 19 Uhr im Kiezhaus Agnes Reinhold im Wedding besprechen. Wir bringen unseren Einführungsvortrag mit, danach ist Raum für Fragen und Diskussionen.

Wir wollen gleichermassen lakonisch empfehlen: hingehen und anhören.

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Die Frauen und die Revolution

Unsre Zeitgenossen kennen keine Revolutionen mehr, deswegen wundern sie sich darüber, dass im Iran eine „Revolution der Frauen“ sich anzubahnen scheint. So etwas, meinen sie, ist nie dagewesen. Sie haben vermutlich auch die letzten 13 Jahre unter einem Stein gelebt. Wir erlauben uns, aus einem älteren Text zu zitieren:

Mit dem Streik der Frauen in Vyborg, Petersburg hatte am 8. März 1917 die zweite russische Revolution angefangen. Nun kann man von der russischen Revolution ehrlich gesagt halten, was man will. Wir halten es da mit Kropotkin, der bekanntlich meinte, die Bolschewiken hätten ein für alle Mal gezeigt, wie man eine Revolution nicht macht. Vor allem haben aber die Bolschewiken die Revolution ja nicht „gemacht“; sie waren nur von allen denen, die der Reihe nach an die Macht kamen, die ersten, die skurpellos waren, alles ausser sich kaputtzumachen. Sie haben die Revolution für sich ausgebeutet. Die Geschichte der Revolutionen hat aber noch nicht aufgehört! Nur die Zeit, wo man die Bolschewiken als Vorbild betrachtet hat, die hat allerdings aufgehört. Und man weiss heute, wie man sich vor ihnen hütet.

Überall, wo eine Gesellschaft schon in allen Fugen knirscht, und wo jeder schwören könnte, dass es nicht mehr so weitergehen kann, überall da geht es doch immer noch eine Weile weiter. Irgendwelche Leute kriegen es anscheinend hin, mit dem weniger gewordenen Lohn, mit den längeren Arbeitszeiten, bei leerer gewordenen Läden doch noch eine Weile zu haushalten; alles zusammenzuhalten, und irgendwie das Überleben organisiert zu bekommen. Unsere Geschichtsschreibung weiss recht wenig über diese merkwürdigen Menschen. Normalerweise kommen sie in ihr nicht vor. Bücher werden über andere Sachen geschrieben. Was sind das denn für Menschen?

Das sind, wie es scheint, die Frauen. Und ab und zu geschieht es, dass ihnen der Geduldsfaden reisst. Dass sie vor der Situation stehen, dass es wirklich nicht mehr weitergehen kann. Auch nicht mit der Art von Selbstverleugnung und Aufopferung, die man ohne zu fragen bei den Frauen seit jeher einfach voraussetzt. Das sind die Situationen, wo die Revolutionen anfangen. Scheinbar aus dem Nichts! Fragt die Geschichtsschreibung. Bis gerade war alles in schönster Ordnung! Irgendwie ging alles noch. Am nächsten Tag Aufstand. Unbegreiflich!

Alle Revolutionen haben bei den Frauen angefangen, weil alle Gesellschaften von den Frauen zusammengehalten werden. Der Moment, wo die Frauen aus öffentlichen Bewegung herausgedrängt werden, ist der Moment, wo sich die neuen Herren festsetzen. Das war in Russland nach 1917 so, das war neuerdings in Ägypten so, nach 2011.

Jede neue Herrschaft beginnt mit dem Terror gegen die Bewegung der Öffentlichkeit, und als erstes gegen die Frauen. Ohne die Frauen an der Spitze sind die unteren Klassen wehrlos: das ist die Lehre aus 200 Jahren Revolutionsgeschichte. Das Leben besteht immer noch aus wenig mehr als aus Arbeit. Keine Gesellschaft ist in den Stand gekommen, frei über den Reichtum zu verfügen, den sie produziert. Die Herrschaft der Männer über die Frauen, das ist der Grundstein der allgemeinen Knechtschaft. Die Befreiung der Frauen ist die erste Voraussetzung für jede Verbesserung der Lage.

Das sollte man nicht erst erklären müssen. Es ist einfach und ohne weiteres zu begreifen. Aber die Sache der Frauen ist immer als eine Nebensache betrachtet worden statt als der Beginn der Hauptsache. Das ist eine der Taktiken der Männerherrschaft.

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News unter dem Radar II

Im achten Monat des Putinschen Blitzkriegs gegen die Ukraine habe ich mir gedacht, es wäre vielleicht doch mal wieder angebracht, mir einige Sachverhalte anzuschauen und Spekulationen anzustellen, die von der aktuellen Berichterstattung in den Öffentlich-Rechtlichen einerseits und der „strikten kommunistischen Wissenschaftlichkeit“ der pseudo-linken Idealisten andererseits nicht erfasst werden. Und – noch einmal die Gelegenheit nutzen, zu betonen, man könnte der Redaktion alles Mögliche vorwerfen, aber nicht, dass wir jemals für „konkret“ geschrieben hätten. Aber der Reihe nach.

Die Gesellschaft ist, ganz abstrakt gesprochen, sehr konkret. Es wurde hier einmal – rhetorisch, versteht sich, – die Frage gestellt, wer denn die russländische Gesellschaft „reparieren“ würde, wenn das mittlerweile 21 Jahre andauernde Schlamassel namens das Regime Putin zu Ende sein wird. Das Ende ist nah, das ist abzusehen. Die Massenteilmobilsierung bzw. Teilmassenmobilisierung in Russland, oder wie auch immer man diese Hekatombe noch nennen mag, mit der Putin die Büchse von Pandora wieder versiegeln möchte, wird das nicht mehr aufhalten. Ob Lukaschenka jetzt doch noch eine Beteiligung am Krieg riskiert, ist momentan nicht sicher. Er hat immerhin einen Job, durch seinen in periodischen Abständen verkündeten Kriegsbeitritt Teile der ukrainischen Streitkräfte an der belarussischen Grenze zu binden. Darum geht es hier nicht. Es geht ums „danach“. Wer traut sich?

Ich glaube, es ist ein offenes Geheimnis, dass man das sogenannte Aktionskommittee um Kasparow und Chodorkowskij in der Pfeife rauchen kann. Letztens, ein paar Tage nach dem Anschlag mitten in Moskau, bei dem Darja Dugina umgekommen ist, meldete sich eine Stimme zu Wort, von der man bis dahin nichts gewusst hatte: die Nationale Republikanische Armee. Vorgestellt hat sie allerdings eine bekannte – und eine zwielichtige – Person, Ilja Ponomarjow. Niemand kann genau sagen, was so einer überhaupt im Leben treibt, der mal von der KPRF und Linksfront zu „Gerechtes Russland“ wechselt, einer „sozialistischen“ Partei, der seit 2021 u.A. der bekannte Literaturfascho Sachar Prilepin vorsteht; im Staatsduma mal für staatliche Internetzensur, mal als einziger Abgeordneter gegen die Annexion der Krim stimmt; 2011 zusammen mit Nawalny den Koordinationsstab der Opposition gründet und sich 2013 am kremltreuen Waldai-Forum beteiligt.

https://t.me/s/krothrock/199:

Nun gründet der Mann angeblich einen Gegenpol zum liberal-pazifistischen Aktionskommittee, um die bewaffneten, militanten Kämpfe gegen das Regime Putin zu bündeln und beansprucht für die NRA nicht nur Dugina, sondern den Anschlag auf die Krim-Brücke und einige kleinere Aktionen mehr. Die mitvertretene Legion „Freiheit für Russland“ ist wohl eine TikTok-Gegenveranstaltung zu den Kadyrows Truppen, die bis jetzt auch nur noch auf TikTok militärisch geglänzt haben. Die einzige Kampfeinheit im Bund, die man tatsächlich ernst nehmen kann, ist die Russische Freiwilligencorps, die unter der historischen Fahne der Russischen Befreiungsarmee (ROA) kämpft, der waschechten Nazikollaborateure also, und über die man inzwischen ganz interessante Sachen weiß. Und die famose Veranstaltung Ponomarjows haben sie nach einem Tag bereits wieder verlassen. Ich glaube, es lag nicht nur daran, dass sie die weiß-blau-weiße Fahne der liberalen Opposition nicht akzeptieren konnten, sondern dass sie ganz einfach für solchen Blödsinn keine Zeit haben.

Indes zerstreitet sich die Opposition im Exil an der Frage, ob man den offensichtlichen Stuss doch noch nicht unterstützen sollte. Wer weiß, vielleicht inspirieren die Fakes über den bewaffneten Untergrund jemand so weit, dass so etwas in Russland wirklich entsteht. Irgendjemand sabotiert doch die Gleise bereits, vielleicht nimmt auch jemand eines Tages die Waffe in die Hand. Hmmm, vielleicht… Was aber jetzt schon sicher ist, ihr werdet keine Herren über so jemand sein. Eine im wahrsten Sinne des Wortes faschistische Rechte, die das Regime für seine katastrophalen imperialen Eskapaden immer offener kritisiert und angreift, kann ich mir vorstellen. Ob sie in Gestalt von Prigoschin, Malofejew und Dugin daher kommt – steht noch in den Sternen. Wie wichtig Dugin ist, fragt bitte Alex Gruber oder sonst noch jemand. Public intellectuals neigen dazu, einander zu überschätzen.

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Die nächste Krise XIIV

Neues von der chinesischen Krise:

Contagion is spreading into the deep tissue of China’s political economy. What began as a property crisis — characterised by slumping apartment sales and a rash of debt defaults by developers — is now morphing into a financial crunch at the local government level.

With the market slump, thousands of local government financing vehicles (LGFVs), which since the financial crisis have provided the main impetus behind China’s investment-driven growth, are either running short of funds or teetering on the brink of unprecedented defaults, analysts say.

One of the next twists, according to Wright, is likely to be unprecedented defaults by LGFVs on the domestic bonds they issue. If LGFVs do default, it will signal the crossing of a “Rubicon”, he says.

This is partly because these bonds — which have financed the construction of roads, railways, power plants, airports, theme parks and hundreds of other pieces of infrastructure — have been assumed to enjoy an implicit government guarantee. More materially, such defaults could also destabilise a $7.8tn mountain of debts built up by such LGFVs, sending chills through an already cooling economy.

With the market slump, thousands of local government financing vehicles (LGFVs), which since the financial crisis have provided the main impetus behind China’s investment-driven growth, are either running short of funds or teetering on the brink of unprecedented defaults, analysts say. Local governments have long depended on land sales to property developers to balance their books.

The European Chamber of Commerce in China this month put out its “most dark [position] paper ever”, according to Jörg Wuttke, chamber president. The chamber warned that “European firms’ engagement [in China] can no longer be taken for granted” and added that China was quickly losing “its allure as an investment destination”.

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Die neuesten Entwicklungen

Man kommt mit unseren Kapazitäten nicht mehr hinterher, wenn man über die Dinge schreiben will, die im Moment alles in Bewegung geraten. Das ist kein Zufall und nicht einmal eine unvorhergesehene Situtation, es war von Anfang an klar, dass dieses Jahr eines der kaskadierenden Veränderung sein wird. Es ist noch nicht einmal alles geschehen, was wir in unseren Bingo-Karten stehen haben. Die Entscheidung in China z.B. ist noch nicht gefallen, es sei denn, man glaubt den wilden Gerüchten, die in den indischen Medien umlaufen.

Das ist der Grund, warum wir diesesmal nicht tagelang über den iranischen Aufstand schreiben. Die Lage im Iran hat sich nicht grundsätzlich verändert; die Aufstände kommen in immer schnellerer Folge und scheinen immer heftiger zu werden, und irgendwann, dieses Jahr oder das nächste, werden sie sich durchsetzen. Was danach kommt, lässt sich nur erst ahnen. Aber die Folgen werden überall fühlbar sein. In unsrer Welt hängt jeder Teil der Unterdrückung mit jedem anderen zusammen, auf vielerlei Weisen; direkt durch die Bündnissysteme, durch den Weltmarkt, aber auch subtiler, durch die herrschende Ideologie.

Man soll nicht glauben, dass eine Veränderung im Iran, in Russland oder China einfach einen Sieg des Westens, oder gar der momentan dort herrschenden Parteien bedeuten würde. Im Gegenteil beruht der gegenwärtig hier herrschende Zustand direkt auf der Existenz dieser Regime. Jede Veränderung an irgendeinem Ort zieht Veränderungen an jedem anderen Ort nach sich. Die Zeiten sind vorbei, wo man wie ein Astrologe die kommenden Dinge aus weit entfernten Bewegungen ablesen musste. Es werden auch hier neue Fragen gestellt werden, und es werden neue Dinge geschehen.

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Ganz was anderes

Der Mitschnitt der sehr interessanten Konferenz „Workers Buyout“ von 2020 ist übrigens auf Youtube zu finden.

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Neues von der Pseudo-Linken (V)

Was wäre die Kritik der heutigen Pseudo-Linken ohne Berlin? In Berlin tritt alles, was anderswo nur eine ungreifbare Tendenz ist, als eine eigene greifbare Realität auf. In Berlin scheint alles völlig anders zu sein als in der Provinz, aber in Wahrheit ist Berlin nur der Zerrspiegel, der ins überdeutliche vergrössert das zeigt, was man anderswo noch abstreiten kann.

Sehen wir uns also nocheinmal berliner Vorgänge an. Wir haben hier einen, der uns eine Reihe von ernsthaften Fragen aufwirft: entweder nach dem Zustand der heutigen linken Szene, oder nach ihrem Charakter, oder nach der Zukunft, die sie haben kann.

Für den 30.8.2022 hatte der Verein „Sisters e.V.“ im Nachbarschaftshaus Kreuzberg einen Filmabend mit anschliessender Diskussion angekündigt. Sisters e.V. ist ein Verein, der sich mit Armutsprostitution befasst und Ausstiegshilfe anbietet.

So weit, so gut. Aber es ist Berlin 2022, und deswegen gab es erstens einen Protestaufruf nebst Forderung, die Veranstaltung abzusagen, und zweitens die wirkliche Absage durch das Nachbarschaftshaus Kreuzberg.

Das sind zwei getrennte Vorgänge, die wir getrennt betrachten werden müssen. Sie werden uns zwei einander ergänzende Dinge lehren.

1. Für die Diskussion waren u.a. Aussteigerinnen aus der Prostitution angekündigt, die die Prostitution erlebt haben als ein rassistisches Ausbeutungs-System, und sie als solches auch beschreiben. Das ist den wenigen, die sich entschieden haben, ihnen zuzuhören, auch nicht unbekannt.

Lassen sich ernsthaft Teile der berliner linken Szene dazu mobilisieren, diesen Leuten den Mund zu verbieten? Das wäre schwierig, ausser man formuliert es anders. Es ändert zwar an der Sache nichts. Aber es sagt uns etwas über die Art, wie hier gedacht wird.

Der erste Aufruf, der so auch von einigen Demo-Tickern geteilt wurde, lies durchblicken, es ginge hier gegen christliche Fundamentalisten. Auf die Weise reitet man auf der Mobilisierung gegen den „Marsch für das Leben“. Und offenbar rechnet man sich aus, dass das zieht.

Sisters e.V. hatten einen Beitrag einer Rednerin von „Gemeinsam gegen Menschenhandel e.V.“ angekündigt. Das ist in der Tat eine christliche Vereinigung. Sind es Fundamentalisten? Ich habe eine schlechte Nachricht für euch, Freunde: es gibt einen ganzen Haufen Christen da draussen. Und noch eine schlimmere: viele davon tun gute Arbeit, und die Linken arbeiten mit ihnen zusammen.

Vor ein paar Jahren, als die Abschiebeflüge nach Kabul flogen, waren es nicht die Leute mit den patentiert richtigen Ansichten, die uns begegnet sind, als wir die afghanischen Flüchtlinge aufgesucht haben, sondern Leute von der katholischen Kirche. Wir haben sie nicht nach ihrer Meinung zur Abtreibung gefragt. Wir haben mit ihnen zusammengearbeitet, wir sind darauf stolz und wir werden es jederzeit wieder tun. Was die Leute mit den patentiert richtigen Ansichten wert sind, haben wir damals nämlich ganz genau gesehen. Und so, nehme ich an, halten es auch Sisters e.V., und sie tun gut daran.

2. Auf Dauer reicht wohl #nofundis als Begründung nicht aus; es sind wohl noch eine Reihe anderer Dinge über Sisters e.V. in Umlauf gesetzt worden, auf einige davon wird z.B. hier eingegangen. Aber es lassen sich natürlich beliebig viele Gerüchte ausdenken, die man glauben kann, wenn man sie glauben will.

Die Organisation, von der der Aufruf in diesem Fall herrührt, nennt sich Sex Worker Action Group und tritt auf als Gruppe von Leuten, die „Sex Work“ betreiben. „Sex Work“ ist ein interessantes Wort, es ist dafür gemacht, das traditionelle Bild von der Prostitution zu ersetzen durch ein modernes, sauberes, selbstbestimmtes. Aber dadurch, dass man das Bild von einer Sache ändert, ändert man die Sache noch nicht. Über die Zustände im Bordellwesen und der Armutsprostitution erfährt man auch auf genau eine Weise, nämlich von denen, die diese Zustände kennen. Wenn diese Zustände sich als „Sex Work“ beschreiben liessen, bräuchte es nicht Vereine wie Sisters e.V. Was für Leute sind es, die daraus den Schluss ziehen: also muss man Sisters e.V. zum Schweigen bringen? Für wen und für was arbeiten diese Leute?

Sisters e.V. wollen, sagt die Sex Workers Action Group, eine Gruppe, die „criminalisation of our work“, was streng genommen falsch ist, weil Sisters e.V. das Verbot des Kaufs und nicht des Verkaufs von Sex wollen. Aber selbst wenn wir das zugestehen würden, was bleibt übrig? „Wir“ und unsere Lebensentscheidung zählen mehr als das Elend anderer; noch viel mehr, „unsere“ Belange wiegen sogar das Recht auf, über das eigene Erleben der Prostitution als rassistisches Ausbeutungssystem auch nur zu sprechen.

Ist es das, was aus der „Politik der ersten Person“ geworden ist? Dann habe ich wiederum schlechte Nachrichten für euch, berliner Linke: kein Wunder, dass eure Szene zu einem Magneten für gewisse Kinder der besseren Kreise geworden ist. Denn genau mit dieser Idee sind diese aufgewachsen: unsere Belange sind wichtiger als die von anderen Leuten, schon gar von solchen. Ihr wisst genau, was für Kinder besserer Kreise ich meine; ihr selbst wollt sie losbekommen. Von alleine geht das aber nicht, man wird sie entschlossen abschütteln müssen. Also los, nutzt den Moment!

3. Leicht wird es nicht werden. Diese Art von Aktivisten ist in linken Organisationen überall hineingelassen worden. Die Sex Worker Action Group z.B. arbeitet eng mit der „Queer_Feminismus AG“ der Interventionistischen Linken Berlin zusammen.

Teil der FAU Berlin ist eine „Sex Workers Union“, die den Aufruf natürlich unterstützt hat.
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Dieser Verein hat seine Gründung als grosse Neuheit angekündigt, und in einer Szene, die kein Gedächtnis hat, schindet er wie die ganze Sex-Work-is-Work-Bewegung grossen Eindruck. Ja in der Tat, wäre es denn den Bordellprostituierten nicht viel mehr geholfen, wenn die Prostitution legalisiert und vom gesellschaftlichen Makel befreit würde? Seht her, wir haben jetzt sogar eine Gewerkschaft gegründet!

Es ist natürlich nicht das erste Mal, das diese Nummer abgezogen wird, und es wird auch diesesmal nicht anders ausgehen als die letzten Male. Eine solche Gewerkschaft wird nie die Armutsprostituierten organisieren, sie versucht es auch gar nicht ernsthaft; ihre Mitgliedschaft werden, wie jedesmal, gutbezahlte Escorts sein, die es sich aussuchen können und auch andere Möglichkeiten hätten. Also, wenn wir in der Metapher bleiben wollen, Freiberufler. Wenn deren Interessen dieselben wären wie die der Mehrzahl der Armutsprostituierten, würden sie vermutlich nicht so viel aufwenden, um sie zum Schweigen zu bringen.

Bisher interessiert das kaum jemanden in der Szene, und mangels ernsthaften Interesses sind es dann solche Gruppen, die in den linksradikalen Organisationen das Bild bestimmen: sie sind es, die in Sachen Feminismus und Prostituion die Aussenwirkung beherrschen, sie verstecken ihre eigenen Interessen hinter dem Namen einer grossen Organisation, und sie nutzen deren Infrastruktur, Respektabilität und Mobilisierungsfähigkeit.

Der Handel, der da geschlossen wird, ist sehr einseitig. Die Organsationen, die so etwas zulassen, werden allerdings bleibenden Schaden nehmen. Freie Debatte findet nicht statt, wo die Taktiken solcher Aktivisten vorherrschen. Aber die freie Debatte hat die Angewohnheit, sich für ihren Ausschluss zu rächen.

Namentlich die FAU Berlin muss sich Fragen stellen lassen. Niemand bestreitet das Recht, sich zu organisieren. Aber eine Gewerkschaft kann sich nicht von einer derart auftretenden Gruppe einfach kapern lassen. Nicht einmal die IG Metall lässt es zu, dass z.B. ihre Position zu Rüstungsfragen ganz vom Betriebsrat von Rheinmetall dominiert wird. Was die IL betrifft, stelle ich mir solche Fragen nicht mehr, weil ich das für eine ohnehin kaputte Organisation halte, deren Niedergang sich vielleicht noch einige Zeit hinzieht. In der IL stellt man keine Fragen mehr, aus der IL tritt man aus; dieser Prozess ist zu weit vorgeschritten, als dass diese Organisation je wieder mehr werden wird als eine leere Hülle.

Die Linke, wie sie heute ist, kommt mehr oder weniger aus den nuller und zehner Jahren; sie ist ein mehr oder weniger gescheiterter Versuch eines Neuaufbaus nach einem tiefen Bruch in den 1990ern. Alle ihre Strukturen und Doktrinen sind deshalb unvermeidbar mangelhaft; und ihre überfällige Erneuerung wird nicht ohne Konflikt gehen. Strategische Bündnisse, die damals Sinn hatten, haben diesen verloren. Die Basis, auf die sie sich stützen muss, ist gleichzeitig enger und weiter geworden. Ein Bruch steht bevor, alle fühlen das. Und Vorgänge wie dieser gehören zu den Vorbeben. Vielleicht diesesmal, vielleicht nächstes Mal wird es Konsequenzen geben.

4.
Es ist vielleicht der Ort, um ein bisschen grundsätzlicher zu werden. Die Linke hat heute kein Gefühl für die Wichtigkeit der freien Rede. Sie hat sich von den Konservativen eine Debatte um „Cancel Culture“ aufzwingen lassen und fühlt sich seitdem verpflichtet, eisern zu behaupten, so etwas gäbe es nicht; so etwas hätten sich Konservative ausgedacht, die beleidigt sind, weil ihnen niemand mehr zuhören will; oder aber, so etwas gäbe es sehr wohl, und das sei gut so, aber es sei eine Waffe derer da unten gegen die da oben, die ja von jeher bestimmt haben, wer über was reden darf.

Diese Reaktion ist von abgrundtiefer Blödheit. Sie übersieht, was mit Händen zu greifen ist, und überhört sogar, was sie selbst sagt. Niemals haben die Unterdrückten die Macht gehabt, den Mächtigen den Mund zu verbieten, und es ist auch heute nicht anders. Was wir sehen, ist eine Verschiebung unter denen, die zu den Mächtigen gehören.

Für die Unterdrückten ist die freie Rede die einzige und letzte Zuflucht, die letzte und wirksamste Waffe. Sie ist ihnen immer wieder unter allerlei Vorwänden versucht worden zu nehmen. Das war in der Vergangenheit so, und es ist nicht durch irgendeinen Zauber anders geworden.

Was sollen wir also über die denken, die da sagen, sie wissen genau, wer wie unterdrückt ist und wer deswegen das Recht hat zu reden und wer nicht? Die Frage beantwortet sich, während man sie stellt.

Diese neue Fraktion der Mächtigen begründet ihren Anspruch, zu herrschen, aus dem Wohl der Unterdrückten: aber so haben es alle Mächtigen von jeher getan. Sie geben vor, ein entwickeltes Wissen zu haben über die Bedingungen dieses Wohls. Dieses Wissen ist Müll. Auch das war immer so, bei allen, die herrschen wollten.

Niemand anders als die Unterdrückten hat das Recht, für die Unterdrückten zu sprechen. Das aber heisst: alle haben zu sprechen, in ihrem eignen Namen. Wessen Ansprüche gültig sind und wessen nicht, das wird man dann erst sehen. Und anders nicht. Ohne das gibt es keine Solidarität unter den Unterdrückten, und keine Aussicht auf Befreiung für sie.

Was wir statt dessen sehen, sieht aus wie Anmassung gegen die Menschen von ganz unten; eine Anmassung, die ganz gewöhnlich ist, seit es Gott und Staat gibt, und Prostitution.

Eine Linke, die nicht für die freie Rede eintritt, tritt für die Anmassung ein; für das Recht, den Unterdrückten den Mund zu verbieten; zu entscheiden, wer reden darf und wer nicht; für die Herrschaft. Eine solche Linke hat nicht das Recht, zu existieren; und sie existiert auch nicht als Linke, sie existiert als Anhängsel der Herrschaft.

Wir haben diese Dinge persönlich zu nehmen. Es gibt neben dem Recht, zu reden, auch das Recht, zu hören. Wer uns das nehmen will, versucht uns zu unterwerfen. Diese Leute müssen unsern Zorn kennenlernen, wenn wir freie Menschen sein wollen.

5. Wieder zum konkreten Vorgang. Es wäre einmal interessant zu sehen, wieviele Leute dem Aufruf dieser Gruppen wirklich folgen; ob sie, ausser dass sie sich hinter grossen Organisationen verstecken, denn wirklich so sehr von der allgemeinen Verdummung profitieren. Ob sie also mehr als ein Dutzend auf die Beine stellen, und welche. Vielleicht sieht man es demnächst einmal!

Dazu muss aber erst einmal ein Veranstalter standhaft genug sein. Wir haben das neulich schon bei den Vorfällen an der Humboldt-Universität gefragt; warum knicken denn die betreffenden Einrichtungen gar so schnell, so verdächtig schnell ein? Haben sie wirklich Angst vor einem grossen Mob?

Oder fürchtet man, dass der Mob nicht gar so gross sein würde wie erhofft? Das ganze schmutzige Spiel würde niemals funktionieren ohne die Komplizenschaft des Staats, der öffentlichen Einrichtungen und der „zivilgesellschaftlichen Institutionen“. Entweder aus Feigheit, oder durch aktive Zuarbeit. Was für Leute treffen denn die Entscheidungen in diesen Einrichtungen, wie kommen sie dahin und wem schulden sie Rechenschaft? Wir haben es hier ausserdem mit Berlin zu tun, und jeder weiss genug über dieses Staatsgebilde und die völlige Korruption aller seiner Institutionen.

Berlin wird beherrscht von denselben Parteien, die vor zwanzig Jahren das Bordellwesen dereguliert haben; und die fortschrittliche Politik dieser Leute hat vor wenigen Jahren diese Blüte getrieben:

Der Runde Tisch „Sexarbeit“ (nicht: Prostitution) – bestehend aus Senatsmitgliedern, Polizei, Beratungsstellen und „Sexarbeitenden“ – hatte die Aufgabe, die „Arbeitsbedingungen von Sexarbeiter*innen“ zu verbessern. … Die rettende Idee des Runden Tisches: Ein Klo-Häuschen! Natürlich! Auf „reine Vollzugsboxen“, die der Quartiersrat Schöneberg vorgeschlagen hatte, konnte sich der Runde Tisch nicht einigen. Aber: „Mit der Kombination Toilette, Verrichtungsbox sind wir auf dem richtigen Weg“, freute sich die Bezirksbürgermeisterin von Tempelhof-Schöneberg, Angelika Schöttler (SPD). Auch Barbara König (SPD), Staatssekretärin für Gesundheit und Gleichstellung, verkündete spritzig: „Die Bio-Toiletten im Kurfürstenkiez werden gut als Verrichtungsorte angenommen.“

Wir sehen, die IL ist in Berlin am Ende gar nicht so oppositionell! Das Nachbarschaftshaus in Kreuzberg ist, man kanns der Internetseite entnehmen, völlig von der Förderung durch diese Politik abhängig. Aber das alleine erklärt nicht die eiskalte Verachtung, die einer Referentin der Veranstaltung, einer ehemaligen Prostituierten dort durch das Personal entgegengebracht wird:

Sondern hier kommt noch etwas anderes dazu, eine ganz besondere Erbschaft der Schröder-Zeit. Es ist immer falsch gewesen, den Schröderismus als blossen „Neoliberalismus“ anzusehen. Schröder und seine Nachfolger haben nicht bloss den Unteren soziale Rechte genommen; sie haben auch einen neuen Flügel einer „fortschrittliche“ Bürokratie geschaffen, im Staatsapparat und im Vorfeld des Staats. Sie besteht aus einem unüberschaubaren Gewimmel von allerhand Demokratieförderungsinitiativen, Integrationspreisen und Stiftungen, nebst den staatlichen Stellen, aus derem Budget die Mittel kommen. Ihr Zweck ist der Staatszweck, aber der rotgrün definierte Staatszweck; ihr Personal kommt aus der studentischen Linken, und sie bietet erheblichen Teilen einer überflüssigen Akademikerklasse Lohn und Brot, und überhaupt eine gesellschaftliche Stellung.

Schröder, der damals ab 2000 geschafft hat, Teile der Antifa direkt aufzukaufen, hat es geschafft, einen erheblichen Teil dieses Milieus dauerhaft an Rot-Grün zu binden. Die Linke hat die Gefahr dieser Korruption damals sehr genau begriffen; man kanns in der „Phase 2“ von damals nachlesen. Aber das Misstrauen ist seither abgestumpft; zu verlockend die Aussicht, als Teil der Volksbeglückungsbürokratie an Einfluss zu kommen; zu abhängig ist eine Szene, die laut der „Kritik der Arbeit“ huldigt, von derartigem Einkommen.

Ganze Generationen sind in den Staatsapparat und sein Vorfeld hineingewachsen, die dieser Politik alles verdanken. Ein ganzes Milieu ist dadurch geprügt. Noch mehr, diese Schicht bildet die aktive Basis der Staatsparteien selbst. Für diem die sich minder privilegiert fühlen gibt es die Linksparteijugend, die diese Zurücksetzung durch doppelten Eifer kompensieren; und die radikale Linke, die sich aber bei alledem einbildet, mit ihr hätte das alles nichts zu tun, weil sie doch radikal sei. Man fragt ohnehin nicht oft, worin diese Radikalität denn besteht.

Was daraus aber wirklich gekommen ist, war ein diskreter Seitenwechsel. Ein gewisser Teil z.B. der Antifa-Szene begreift sich nicht mehr als Teil des Kampfes gegen die Herrschaft, sondern als Teil eines Reformprojekts von oben. Ein grösserer Teil begreift sich nicht so präzise, aber arbeitet genauso als Gesinnungswächter für das grün-liberale Bürgertum. Zusätzlich zerrüttet von dem Daueralarm der Jahre nach 2015, halten sie es für den einzigen Verbündeten gegen die, denen sie am meisten misstrauen: die gewöhnlichen Leute.

Aber diese waren es, die damals die AfD zurückgewiesen haben; nicht das grün-liberale Bürgertum hat diesen Kampf gewonnen, und nicht die „Bündnisse gegen Rechts“. Das Bündnis mit dem „fortschrittlichen“ Bürgertum bringt die Linke in Gegensatz zu ihnen. Es ist eine tödliche Gefahr. Wenn die Linke aus dieser Falle hinauswill, muss sie jetzt handeln; wer weiss, wann es zu spät ist. Es hat in Ungarn nicht anders angefangen.

6. Der Untergang der Linken im Ganzen ist auch in Deutschland heute eine reale Möglichkeit. Es wird ihr nichts helfen, dass sie in den letzten 10 Jahren begonnen hat, die „soziale Frage“ zu versuchen zu „besetzen“; jedenfalls, wenn sie sich weiter so benimmt, wie eine Besatzungsmacht.

Wir werden die nächsten Male ein bisschen darüber reden, wie eine solche „Besetzung“ dieses Themas funktioniert. Es gibt ja hier zwei sehr verschiedene Interessen: die ideologischen und Organisations-Interessen der linken Gruppen, und die Lebensinteressen der Bevölkerung, um die es geht. Natürlich gibt es dazwischen Konflikt. Es ist sehr spannend, zu sehen, wie in diesem bestimmte pseudo-linke Ideologeme benutzt werden, um die Herrschaft in der Debatte zu sichern. Die linken Aktivisten sind, sobald sie es mit einer ernsten sozialen Bewegung zu tun haben, in der Minderheit; sie haben diese Mittel nötig. Aber sie riskieren, die soziale Bewegung darüber abzuwürgen; sie hindern aktiv die Mehrheit, ihre Kraft zu entfalten. Aber das heisst, sie riskieren bewusst die Niederlage der Bewegung. Es wäre eine Niederlage für eine sehr lange Zeit.

Das ist sehr schön zu sehen dort, wo soziale Bewegungen mehr oder weniger gesteuert werden von den Aktivisten dieser Linken oder, je nachdem, Pseudo-Linken. Es sind hier, in klein, dieselben Mechanismen am Werk und zum Teil dieselben Akteure. Ob die Linke von innen zu retten ist, ob ihr Zustand sich ändern würde durch grosse gesellschftliche Bewegungen, das kann man alles nicht wissen.

Es hängt an vielen Dingen. Aber manche davon sind einfach. Und die Schlüsse, zu denen sie führen, sind auch einfach. Kann wer auch immer im Namen der Linken verhindern, dass Frauen aus der Prostitution über ihre Erfahrungen reden dürfen, ganz gleich welche Schlüsse sie daraus ziehen? Wenn nein, stellt man sich diesen Leuten entgegen? Vielleicht ist es auch zu unwichtig, es gibt ja immer etwas wichtigeres, aber wir reden hier über die Verfassung eurer Szene und wer entscheidet, wer den Mund auftun darf. Und auch ihr seid unwichtig, ehe ihr den Mund auftut.

Jörg Finkenberger

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Die nächste Krise XII

Ob der Artikel diese Überschrift behält, oder die N.Y. Times sie nach ihrer Gewohnheit dreimal verändern wird, um mehr Clicks zu generieren oder weil irgendjemand sich beleidigt zeigt, weiss ich nicht; aber am 9.9. hiess sie noch

Wartime Economics Comes to Europe

Unsere Linksliberalen, worunter man auch die Linkspartei zu verstehen hat, sind gewöhnlich zu feige, den Wirtschaftskrieg, den sie führen, auch einen Wirtschaftskrieg zu nennen. Solche Leute sind gewöhnlich auch nicht in der Lage, einen solchen zu führen und auch zu gewinnen, und in der Regel können sich solche poltischen Kräfte in so einer Lage nicht halten. Aber wir schweifen ab.

And Europe seems set to respond by doing what democracies always do when confronted with wartime inflation: imposing windfall profits taxes, price controls and (probably) rationing.

Die Sache nur, dass die derzeitige Inflation das zentrale Problem der kommenden Krise maskiert und überdeckt, nämlich die Tendenz zum katastrophalen Preisverfall und Ruin der Profite. Die entwickelten kapitalistischen Staaten setzen gerade ihr ganze politische Maschinerie in Gang, um den Preisauftrieb zu begrenzen. Sie setzen sich der Gefahr aus, auf die Deflation, wenn sie beginnt, nicht mehr reagieren zu können.

Die kapitalistische Ökonomie hat keine Wahl; sie navigiert wie Odysseus zwischen der Scylla der Inflation und der Charybdis des allgemeinen Preisverfalls, und wenn die eine sie nicht erwischt, bekommt sie die andere.

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