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Auch 25.4. Jena: Vortrag
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25.4. Berlin: Kundgebung LAG Gorillas
🧵📣
Wecker stellen: 25. April, 10 Uhr, – Arbeitsgericht Berlin
Und warum?– weil du gegen das Streikverbot bist, das den Kampf der Arbeiter*innen kriminalisiert,
– weil du forderst, dass Deutschland endlich die Rückstände des NS-Rechts aus dem Arbeitsrecht entfernt, + pic.twitter.com/b4VTLwOl0r— Duygu Kaya 🇵🇸 (@dygky88) April 23, 2023
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„Wir nannten uns Territorialverteidigung bevor es in die Mode gekommen ist“
Falls sich jemand inzwischen an die mediale Berichterstattung gewöhnt hat, es wird ja das Wetter scön, das eigene Leben muss ja auch noch weiter gehen usw., für den Fall gibt es einen kurzen hübschen Film über eine antiautoritäre TRO-Gruppe aus der Region Charkiv. Erscheckt nicht ob der Sprache, englische Untertitel sind da. Es gibt viel Interessantes zu hören – über die Funktionsweise, die Zusammenarbeit mit den regulären Militäreinheiten, über die Geschichte der Gruppe, die in die Zeit der Selbstverteidigungskräfte des Euro-Maidans reicht.
Unterstützt Solidatiry Collectives bei Gelegenheit.
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Zur Diskussion über die Grundlagen des Freiburger Materialismus
Dieser Text war ursprünglich zur Einleitung einer Broschürenfassung gedacht; wir dokumentieren hier der Vollständigkeit halber.
Freiburger Materialismus, manchmal aus Marxismus-Mystizismus, ist unter linken Intellektuellen die akzeptierte Spottbezeichnung für die im Umkreis des ISF vertretene Sorte der kritischen Theorie. Niemand weiss aber, was das ist, vielleicht noch nicht einmal die ISF so ganz genau. Trotzdem fällt es einem dann üblicherweise ganz genau wieder ein: eine Sorte anti-philosophischer Philosophie, auf der einen Seite wie bessessen von den abstraktesten Fragen der Logik, die sie auf der anderen Seite in die unmöglichsten Paradoxien zu steigern liebt; und die dann ernsthaft behauptet, aus diesen Paradoxien bestehe die historische Realität.
Unter wohlmeinenden Leuten werden solche Dinge natürlich nicht vertreten. Der Materialismus der wohlmeinenden Leute ist da besonnener. Kopfschüttelnd bemerken sie, dass die Freiburger anzunehmen scheinen, die Wirklichkeit gehe gar nicht glatt auf in den theoretischen Begriffen, die man sich von der Wirklichkeit macht. Die Altvorderen des Freiburger Materialismus scheinen sich dafür nicht einmal zu geschämt zu haben, sondern sie haben zum Überfluss noch allerhand Invektiven gegen sogenannte Theorie, Theoretiker und die linken Intellektuellen insgesamt dazugetan.
Alle linken Theoretiker konkurrieren fleissig darum, mit welcher ihrer Theorien, mit welcher neuen Marx-Lektüre oder welchem Seminar-Marxismus man die kapitalistische Gesellschaft am besten verstehen liesse; da kann man doch unmöglich so überspannt sein, zu behaupten, dass man die kapitalistische Gesellschaft überhaupt nicht verstehen könne, und dass auch der Versuch strafbar sei dadurch, dass man dann unweigerlich nichts als Theorie produziere.
So etwas nennt man in gebildeter Gesellschaft „Materialismus“ höchstens mit Anführungszeichen. Unter Materialismus können sie sich eigentlich nur denken den von ihnen allen gemeinsam verachteten platten Ökonomismus, den sie alle gemeinsam wochentags dennoch betreiben; der ihnen aber auseinanderfallen würde ohne den ideologischem Kram, den sie sich sonntags je nach Konfession dazu denken, wahlweise Lukacsianismus, Marcusianismus, oder irgendein anderer Hegel-Marxismus, alles miteinander schlimmer philosophischer, d.h. anti-materialistischer Unsinn. Der aber hat einen unbestreitbaren volkspädagogischen Nutzen: das ganze Theoretisieren hält die jungen Leute frühzeitig dazu an, erst einmal gründlich die miteinander nicht zusammenpassenden Ideen in ihren Köpfen zu sortieren. Statt dem könnten sie sonst etwa loszulaufen und schauen, warum sie denn solche Ideen haben, und ob die entsprechenden gesellschaftlichen Einrichtungen vielleicht am Ende genausowenig zusammenpassen. Sie könnten die falschen Ideen als objektiv, die objektiven Ideen als falsch begreifen, anstatt allen Leuten ihre patentiert richtigen Ideen aufschwätzen zu wollen; kurz, praktische Kritik treiben statt Sektierertum.
Nun könnte einem das fürchterlich egal sein, was die linken Theoretiker denken, es ist auch zu ihrem Leidwesen den meisten völlig egal. Aber zu unserem Leidwesen sind gerade diese linken Theoretiker so erstaunliche Abziehbilder des philosophischen Idealismus, so täuschend ähnliche Hegel-Karikaturen; und sie würden das, wenn man es ihnen sagte, als Kompliment empfinden, ausser dass sie nach aussen natürlich entrüstet tun müssen. Aber auf sie trifft immer noch alles zu, was Walter Benjamin in den „Thesen über die Geschichte“ geschrieben hat; das ist der Jammer an der Sache. Sie taugen eigentlich nur als Gegenstände der materialistischen Kritik. Und so, auch wenn man sie ignorieren möchte, drängen sie sich eigentlich geradezu auf, als beinah notwendiger Gegenstand der Kritik.
Das Geschäft des Materialismus ist im letzten halben Jahrhundert unter diesen Leuten jedenfalls nirgendwo getrieben worden. Sehen wir uns also einmal nach den Grundlagen des so genannten Freiburger Materialismus um, einfach auf den Verdacht hin, dass man dort vielleicht dazumal Recht gehabt haben könnte. Vielleicht finden wir auch eine Antwort auf die Frage, die in linken Kreisen sich alle stellen und die niemand ernsthaft auszusprechen wagt: Was ist eigentlich Materialismus?
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Der Geist von Stonewall
„Eine junge Frau kletterte auf die Bühne. „Das waren so Typen in meinem Viertel in Queens.“ Ihre Stimme war selbst mit dem Mikrofon kaum zu vernehmen. „Sie haben mich und meine Freundin immer angepöbelt. Eines Abends kamen sie hinter mir her. Ich war alleine. Sie haben mich auf den Parkplatz hinter der Eisenwarenhandlung gezerrt und vergewaltigt…“
Die Tränen liefen mir übers Gesicht. Der Mann neben mit legte mit die Hand über die Schulter. Auch seine Augen waren voller Tränen. …Als sie von der Bühne stieg, dachte ich: Das ist wirklicher Mut. Den Alptraum nicht nur überleben, sondern anschliessend etwas damit anzufangen. Es geht darum, den Mut zu haben, mit anderen darüber zu reden. Es geht darum, sich zu organisieren, um die Verhältnisse zu ändern.
Und plötzlich war ich meines eigenen Schweigens so überdrüssig, dass auch ich reden musste. Es war nicht so, dass es etwas Bestimmtes gab, was ich unbedingt sagen wollte. … ich hatte Angst, dass ich, wenn ich diesen Moment verstreichen liess, vielleicht nie wieder mutig genug sein würde, es zu versuchen.
Ich ging näher an die Bühne heran, war kurz davor, meine Stimme zu finden. Die Frau, die die Versammlung leitete, sah mich an. „Willst du etwas sagen?“ Ich nickte; ich war ganz benommen vor Angst. „Komm hoch, Bruder“, ermutigte sie mich.
Meine Beine schafften es kaum, mich auf die Bühne zu tragen. Ich blickte in die Hunderte von Gesichtern, die mich anstarrten. „Ich bin kein schwuler Mann.“ Meine Stimme in den Verstärkern erschreckte mich. „Ich bin eine Butch, eine KV. Ein Mannweib. Ich weiss nicht, ob die Leute, die uns so hassen, uns immer noch so nennen. Aber diese Bezeichnung hat meine Jugend bestimmt.“ Alle wurden sehr still, während ich sprach, und ich wusste, dass sie mir zuhörten. Ich sah eine Femme, ungefähr in meinem Alter, die am Rand der Menge stand. Sie nickte, als würde sie mich kennen. Ihre Augen waren voller Erinnerungen.
„Ich weiss, was es heisst, verletzt zu werden“, sagte ich. „Aber ich habe nicht viel Erfahrung darin, darüber zu reden. Und ich weiss, was es heisst, sich zu wehren, aber ich weiss es hauptsächlich für mich allein. Es ist hart, so zu kämpfen, weil ich meistens in der Minderheit bin und meistens verliere.“ Eine ältere Tunte am Rand der Menge schwenkte in schweigendem Zeugnis langsam die Hand über dem Kopf.„Kundgebungen wie diese hier sehe ich mir meistens von der anderen Strassenseite aus an. Ein Teil von mir fühlt sich euch zwar verbunden, aber ich weiss nicht, ob ich mich euch anschliessen darf. Es gibt so viele von uns, und wir wollen nicht ausgeschlossen sein. Wer werden verhaftet und verprügelt. Wir sterben auf den Strassen. Wir brauchen euch – aber ihr braucht uns auch.
Ich weiss nicht, was wir tun müssen, um die Welt wirklich zu ändern. Aber können wir uns nicht zusammenschliessen und versuchen, es rauszukriegen? Könnte das Wir nicht grösser sein? Gibt es nicht einen Weg, wie wir einander bei unseren Kämpfen unterstützen können, damit wir nicht immer alleine sind?…“… Als ich der Frau das Mikrofon zurückgab, legte sie den Arm um mich. „Gut gemacht, Schwester“, flüsterte sie mir ins Ohr. So hatte mich noch nie jemand genannt.“
(Leslie Feinberg, Stone Butch Blues, Träume in den erwachenden Morgen. Krug & Schadenberg, Berlin 1996)
1
Diese Dinge klingen heute wie eine Legende aus einem vergangenen Jahrhundert. Es handelt sich um eine Szene aus dem Buch „Stone Butch Blues“, die beschriebenen Ereignisse sind um den Stonewall-Aufstand herum geschehen. In der heute sogenannten „queeren“ Szene wäre so etwas nicht mehr möglich. Wer heute so redete, über andere oder über sich selbst, müsste die Beine in die Hand nehmen. Aber genau diese freie, fliessende Rede über sich hat die freie, ungezwungene Solidarität möglich gemacht.
Frei und ungewzungen, diese Wörter wären das letzte, was einem über die heutige Szene einfällt. Eine solche Szene wird im entscheidenden Moment die Solidarität nicht aufbringen, sich wieder zusammenzufinden. Die wenigen Errungenschaften von 50 Jahren werden im Ernstfall nahezu widerstandslos abgeräumt werden.
Was die Bewegung einmal stark gemacht hat, ist ihr ausgetrieben. Sie hat einmal von Dingen gesprochen, die überall verstanden worden sind. Von eigenen Erfahrungen, die in der Machtlosigkeit der Vereinzelung gemacht worden sind; aber so, dass jeder sich darin wiedererkennen konnte. Das war die geheime Quelle ihrer Macht: ihre subversive Kraft.
Was ist geschehen, dass die Dinge so versteinert sind?
Wer dort redete, war eine Frau, und lebte als Mann. Und sie sprach ausdrücklich als Frau und Transmann, würden wir heute sagen, zu Frauen und zu Männern. Es gibt eine Gemeinschaft im Unterschied, die ist die Grundlage der Solidarität. Und heute gibt es solche, die es als einen Fortschritt feiern, dass diese Gemeinschaft nicht mehr ohne weiteres ausgesprochen werden kann.
Nun, diesen „Fortschritt“ und seine Grundlagen werden wir uns wohl genauer anschauen.
2
Generationen wachsen heran, denen man einredet, sie seien freier, klüger, fortschrittlicher als die vorherigen; während jede Evidenz nahelegt, dass das Leben heute schlechter ist als vor zwanzig Jahren; die Gesellschaft als ganzes dümmer und verhetzter; und die Nischen, in denen sich freies Denken entfalten konnte, immer mehr ausgelöscht werden.
Unsere Gesellschaft, like the monster that it is, weiss nichts besseres, als diese Entwicklung zu feiern. Generationen sind herangewachsen, die namentlich in sexuellen Dingen sprachloser sind als die vor ihnen; weil sie für sich selbst, ihre Bedürfnisse und Wünsche nur in einer völlig verdinglichten, ja lasst es uns sagen: entfremdeten Sprache reden können, einfach weil eine andere Sprache ihnen nicht zur Verfügung steht – und die einzige Alternative und gleichzeitig Matrize ist die Sprache der Pornographie, die brutale Sprache einer Gesellschaft, vor der man flüchtet, oder von der man verschlungen wird.
Es ist unmöglich, hier nicht das Zeichen der historischen Lage zu sehen: das Feststecken in einem immer enger zugezogenen Schraubstock. In welche Richtung also der „Fortschritt“ geht, ist schnell ermittelt. Als wir aufgewachsen sind, war es auch nicht gut. Auch damals standen Mädchen unter dem Druck, Dinge als normal zu akzeptieren, die auf ihre Ausbeutung und Erniedrigung hinausliefen.
Damals ging es um Dinge wie, ob man Analsex mitmachen muss. Heute geht es um Würgen beim Sex, das heute anscheinend Mainstream geworden ist. Was für ein schöner Fortschritt! Ein Zeitalter, das so etwas normalisiert, soll seine Klappe halten.
3
Das Leiden ist echt. Aber das Leiden weist nicht von alleine den Weg zur Veränderung. Wie soll es begriffen werden? Die Leidenden können es nur selbst. Aber alle Begriffe sind den Leidenden schon vorab aus der Hand gerissen, mit denen sie ihr Leiden deuten könnten; und jemand anderes kann es nicht für sie tun.
Die Sprache der Geschlechtsidentät ist diejenige, die die Gesellschaft ihnen zur Verfügung stellt; und sie wird so bereitwillig angenommen wird, weil sie der Erfahrung entspricht, dass man von jeher zum Objekt gemacht ist, dass man nur als Resultat und nie als Urheber von Handlungen in Betracht gekommen ist.
Respekt hat diese Gesellschaft nicht für den wirklichen lebendigen Menschen. Caritas haben wir nur für die, die bereit sind, von sich wie von einem Ding zu reden; einem Bündel fester Eigenschaften, und nicht unter dem Aspekt von Selbsttätigkeit oder gar Veränderung.
Diese Gesellschaftsordnung strebt danach, die Menschen zu Dingen zu reduzieren und zu Anhängseln von Dingen; und diese vollziehen diesen Zwang an sich selbst; man hat es einmal gewusst und wieder vergessen, oder vielmehr man hat es nie so genau wissen wollen. (1)
Denn es ist ja wirklich wahr: die Selbstdeutung eines Menschen ist einerseits, das seine ganze Existenz durchdringt, jede Faser, und man kann nichts von einem Menschen ohne Bezug zu ihr verstehen, nichts hat ohne sie einen Sinn. Aber ebenso ist auch wahr, dass sie ein blosser privater Gedanke ist, sie ist damit auf eine bestimmte Weise nichtig, jedenfalls hat sie einen anderen nichts anzugehen und verplichtet einen anderen auch zu nichts.
Ein Mensch ist nicht ein Ding mit einem festen Bündel von Eigenschaften, als deren Summe er gedacht werden kann. Jeder Mensch „ist“ etwas anderes als das, was die Welt in ihm sieht. Und gleichzeitig und genausogut „ist“ er keineswegs das, was er seiner eignen Selbstdeutung gemäss wäre.
Das „wahre Ich“, das ist die betrügerische Ware, die die Psychosekten und die Esoteriker verkaufen. Die „Identität“, von der die Rede ist und die gelebt, affirmiert, und zuletzt ins Gesetz gegossen werden soll, das ist die Anpassung ans Versteinerte.
4
Allem Gerede zum Trotz hat das ganze heute überhaupt nichts mehr mit sogenannter „postmoderner Identitätspolitik“ zu tun. Dass man die Postmoderne einmal in Schutz nehmen würde! Aber über Verstorbne soll man nur das Gute sagen.
Und die Postmoderne ist in der Tat von uns gegangen, vor etwa zehn Jahren, und der beste Beweis dafür ist, dass niemand sie vermisst hat seitdem. Es hat nicht einmal jemand bemerkt. Vivek Chibber hat mehr Recht behalten, als er geahnt hat. Was danach gekommen ist, wird unverständlich bleiben, wenn man nicht als erstes begreift: es ist nicht mehr die Postmoderne, so sehr es sich in die Worte der Postmoderne verkleidet hat.
Denn niemand argumentiert heute mehr postmodern. Die Postmodernen haben, was immer man über sie denken denken mag, jedenfalls nie behauptet, Identität wäre etwas, dass ein Mensch irgendwann einmal einfach vorfindet, und woraus mechanisch alle die Dinge folgen, die er dann zu wollen und zu verlangen hat. Selbst die Postmodernen hätten sich eher die Zunge abgebissen, als so etwas zu sagen.
Nicht, dass wir die Postmoderne jetzt übertrieben zu rühmen haben: sie hat entscheindend mitgeholfen, alle diese Fragen in einen undurchdringlichen Nebel zu hüllen. Die Postmoderne war seinerzeit die bevorzugte Form, die der anti-materialistische Affekt in der Philosophie angenommen hat. Als ihre Ideen gescheitert waren, irgendwann um 2011, musste eine neue Form her; und sie fand sich, wie man sieht, in dem stumpfesten und aggressivsten Positivismus. Die Postmoderne sieht nur im Vergleich gut aus, weil sie immerhin die Erfahrung der Neuen Sozialen Bewegungen nicht ganz verraten hatte.
Denn wer man ist, und was man ist, das ist immer eine politische Frage gewesen; eine Setzung, sozusagen; etwas, wodurch man seinen Bezug zur Gesellschaft sich selbst und anderen klar zu machen versucht. Nichts anderes heisst Identitätspolitk. Man versteht das Wort nur heute nicht mehr.
Identität ist eine politische und keine schlicht faktische Sache, sie ist Ergebnis einer Selbstdeutung, einer Position gegenüber der Gesellschaft, und sie ist ebensosehr Ergebnis der Perspektiven, die die Gesellschaft einem bietet, wie derer, die sie einem verweigert.
Je weniger diese Gesellschaft begriffen wird als etwas, das grundsätzlich verändert werden kann, desto verhärteter wird um die Perspektiven gestritten; und desto versteinerter erscheint das, was als Identität errichtet werden muss. Uns geht es aber darum, dass andere Perspektiven geschaffen werden.
5
Die Menschen machen ihre Geschichte selbst, wenn auch nicht aus freien Stücken; sehen wir uns also ein paar politische und sexualpolitische Kräfte an, unter deren Auspizien sie diese machen.
Jeder kennt heute diese Sorte von „queerem“ Aktivismus, der gleichzeitig begriffsstutzig und aggressiv auftritt. Es war beim genauen Hinschauen immer sichtbar, dass diese Aktivistenschicht weder repräsentativ für die LGBT-Bewegung ist, noch untereinander homogen. Es sind Leute, die aus sehr verschiedenen Gründen handeln.
Auf der einen Seite haben wir ganz gewöhnliche Pseudolinke. Unter diesem Wort verstehen wir diejenigen, die sich angewöhnt haben, anderen Leuten den Mund zu verbieten im Namen der Banchteiligten und Unterdrückten; wobei die Pointe natürlich die ist, dass immer sie selbst entscheiden, wer die Benachteiligten und Unterdrückten sind. Es handelt sich hier um Leute, die beschlossen haben, ihren eigenen gesellschaftlichen Status zu verteidigen; auch wenn es ihnen selbst nicht klar ist. Sie selbst sehen sich einfach als gute Menschen; in Wirklichkeit sind sie bezahlte Kräfte der Menschenverwaltung, oder wollen es werden, und ihre Moral ist in der Tat Klassenbewusstsein. Nur eben das der Staatsklasse.
Dazu gehören solche, die mit einer gefälschten Moral hantieren, die anderen Leuten den Mund verbieten, sogenannte „Offene Briefe“ schreiben usw. Hierhin gehört insbesondere die Partei der „Grünen“ und das, was aus der SPD nach Schröder geworden ist. Diese Leute haben keine anderen sexualpolitischen Ideen als die, die ihnen vorgeschrieben werden. Ihr geistiger Referenzrahmen ist eng begrenzt aus das, was die bürgerliche Gesellschaft über sich selbst wissen kann.
Als nächstes haben wir Leute, deren Ideen früher einmal Esoterik genannt worden wären. Seit Esoterik und Pseudowissenschaft allgemein in Verruf geraten sind, wollen sie natürlich nichts mehr damit zu tun haben; aber das heisst nicht, dass sie ihre Ideen geändert hätten. Traditionell findet man solche Leute überall, aber vor allem im grünen Milieu. Hierhin gehören die, die von angebornen Geschlechterseelen reden, von männlichen und weiblichen Gehirnen usw. Früher hätten diese Leute Tarotkarten gelegt oder auf dem Einhorn-Sommercamp über ihr früheres Leben als Einhorn oder Meerjungfrau berichtet (Pro-Tip: Delphin TV auf Youtube). Die Autoren unserer grossartigen linken Enthüllungsliteratur haben natürlich viel über diese Szene herausbekommen, aber erstaunlicherweise fehlen ihnen die Worte immer dann, wenn solche verrückten Ideen im Gewand des Fortschritts und der Inklusion daherkommen.
Drittens aber haben wir eine bestimmte Sorte von gerissenen und skrupellosen Privilegierten, die herausgefunden haben, dass sie sich unter dem Namen der „Queerness“ und der „Transgression“ vor gesellschaftlicher Missbilligung schützen können, indem sie sich hinter anderer Leute Leiden verstecken.
Hierzu gehören die Sexwörk-is-Wörk-Fraktion und der Rest der Prostitutionslobby. Hierzu gehören ganz sicher auch die, die der Meinung sind, ihren von Meth und Chemsex beherrschten Lebensstil als „schwule Kultur“ verkaufen zu müssen. Dazu gehören ausserdem die, die finden, dass ihre „kinks“, das heisst ihre Erotisierung von Gewalt, sie zu einer benachteiligten Gruppe machen und dass sie sie deswegen öffentlich zelebrieren sollen. Sie tragen alle nicht weniger als Pornhub zur Brutalisierung der öffentlichen Bilds von der Sexualität bei. Das ist das finstere Erbe einer „sexuellen Revolution“, die ausser Enthemmung (repressive Entsublimierung nannte es Marcuse) nichts hervorgebracht hat, und die vor allem den Männern zugute gekommen ist.
Das sind drei sehr verschiedene Tendenzen. Sie sind aufs Geratewohl herausgegriffen. Man könnte genausogut andere auswählen; aber weniger erstaunlich wird es dadurch nicht: wie zum Teufel vertragen die sich, wie kann es sein, dass sie eine gesellschaftliche Koalition bilden, was hält eine so abstruse Allianz zusammen?
6
Schauen wir zurück in die 2010er, aus der diese Auseinandersetzungen stammen. Die Lage war damals schon nicht besonders gut, aber es gab noch die Aussicht, eine ernsthafte Debatte zu führen. Dass damals ein Band wie „Beissreflexe“ schon nötig, aber noch möglich war, legt von beidem Zeugnis ab. Wie dieser Band aufgenommen worden ist, sagt auch einiges: sowohl was die Szenen betrifft, die man um die öffentlichen Vorstellungen des Buchs erleben konnte, als auch die Reaktion des grössten Teils des Publikums.
Der Streit schien ja immerhin auf eine recht überschaubare Szene beschränkt zu bleiben, und wer konnte, hielt sich von ihm fern. Immerhin schien eine Debatte in Gang gekommen zu sein, und man konnte einigermassen beruhigt sein, es hatten sich ja die erprobten Fachleute schon an die Sache gemacht. Und fünf Jahre später war alles völlig aus der Hand geraten.
Was war geschehen? Bis dahin waren an der Debatte von den drei oben genannten Tendenzen zwei noch gar nicht beteiligt. Ende des Jahrzehnts änderte sich das. In anderen Ländern der westlichen Welt war das zum Teil früher geschehen. In Deutschland übernahme Grüne und SPD gegen Ende des Jahrzehnts erst die Ideen, die heute zusammengefasst unter dem Namen „Selbstbestimmungsgesetz“ diskutiert werden.
Diese Übernahme geschah nach innen ohne grosse Diskussion, und wäre in den Zeiten vor Schröder so nicht möglich gewesen. Die innere Leere dieser politischen Organisationen ist noch nie eindrucksvoller gezeigt worden. Diese Parteien haben in Wirklichkeit keine Ahnung, was sie da vertreten, und auch kein Bedürfnis danach, eine zu bekommen; sie wollen einen billiges Merkzeichen, mit dem sie sich gegen die Konservativen abgrenzen können, von denen sie sich ansonsten kaum noch unterscheiden.
Aber eine Partei wie die Grünen ist nicht einfach ein Teil der öffentlichen Debatte wie jede andere Gruppe auch, die Partei der Grünen vertritt auch nicht die gesellschaftliche Bewegung gegen den Staat, sondern sie vertritt umgekehrt die Staatsmacht gegen die gesellschaftliche Bewegung. Die Aufnahme des „Selbstbestimmungsgesetzes“ ins Programm der Grünen war eine massive Intervention, und sie brachte die Debatte vollends zum Kentern: indem sie eine einfache Scheinlösung versprachen, schneiden sie die notwendige, aber schwierige Auseinandersetzung ab.
Das Gesetz soll es Leuten erlauben, ihren Personenstand und Geschlechtseintrag zu ändern. Auf diese Reform werden natürlich ungeheure Hoffnungen projiziert, und es wird natürlich für den Fall, dass es nicht so wie gedacht funktioniert, ein ungeheures Kofliktpotential angelegt.
Es sieht den Grünen ähnlich, dass es nicht sie sind, die die Versprechungen erfüllen sollen, die sie machen. Erfüllen soll diese Versprechungen die Gesellschaft. Und wenn die Gesellschaft dazu nicht bereit ist? Dann muss sie dazu gebracht werden.
Unsere „gebildeten“ Kreise sind offenbar zu allerhand Dingen bereit, wenn es darum geht, der Bevölkerung beizubringen, was sie richtigerweise zu denken hat. Sie sind aber offenbar nicht imstande, zu verstehen, wann es genug ist. Die öffentliche Debatte um das Selbstbestimmungsgesetz hat gespenstische Züge angenommen. Und sie hat die hat die letzten Reste der notwendigen Debatte in der LGBT-Bewegung zerstört und unmöglich gemacht.
Man hat sich daran gewöhnt, abweichende Stimmen als Feinde zu identifizieren; die Bewegung gerät deswegen in die Gewalt derjenigen, die dieses Spiel am besten und skrupellostesten zu spielen verstehen. Wo vor 5 Jahren noch immerhin eine szene-interne Debatte möglich war, gibt heute eine Koalition aus den aggressivsten, den gleichgültigsten und den dümmsten den Ton an. Die politischen Optionen der Bewegung verengen sich dadurch. Sie gerät immer mehr in die Abhängigkeit von genau diesen Leuten, die ihre schlimmsten Feinde sein müssten: Leute, die sie belügen, manipulieren und als politische Schwungmasse für ihre eignen Zwecke betrachten, und als sonst nichts.
7
Selbstverständlich sehen die jüngeren in der LGBT-Szene die Falle nicht. Man sieht solche Fallen erst, wenn man in genug davon getappt ist. Niemand ist leichter zu manipulieren als verängstigte junge Menschen, die nicht wissen, ob sie einen Platz haben auf dieser Welt. Niemand ist leichter aufzuhetzen. Und genau das ist das, was geschieht.
Das Versprechen gesellschaftlicher Akzeptanz wird nicht gehalten werden. Es ist voraussehbar, es ist ein Ding der Unmöglichkeit. Sie ist auf Lügen gebaut. Man wird dafür auf die Frauenbewegung als die Schuldige zeigen. Sie ist es nicht. Sie ist nur die Überbringerin der schlechten Nachricht; die einzigen, die den Mut dazu hatten.
Die Pseudolinke spielt ein gefährliches und durch und durch böses Spiel. Es ist um so gefährlicher, als sie im Besitz der Staatsmacht ist. Sie verspricht leidenden Menschen Dinge, die niemand halten kann. Sie betrügt sie um die Einsicht in ihre eigene Lage. Sie macht es ihnen unmöglich, ihren eigenen Weg zu finden, weil sie ihnen einen Weg vorspiegelt, den es nicht gibt.
Die Scheinheiligkeit dieser Gesellschaft hat Ausmasse erreicht, die bis vor kurzem undenkbar waren. Der vorläufige Gipfel der Heuchelei war im letzten Jahr erreicht: in „gebildeter“ Gesellschaft kann nicht mehr ausgesprochen werden, dass Geschlecht binär, universal und unveränderlich ist. Das alles, wie es sich für diese grundverlogene Bande gehört, im Namen derjenigen, die an ihrer Geschlechtlichkeit leiden!
Und denen man damit die einzigen rationalen Begriffe wegnimmt, die sie haben könnten, um trotzdem ihren Weg zu finden. Die man damit sehenden Auges in eine Wahnwelt stürzt. Diese Wahnwelt aber ist keine andere als die Wahnwelt der bürgerlichen Gesellschaft selbst, die sich einbildet, den Menschen als Naturwesen hinter sich gelassen zu haben.
Diese Gesellschaftsordnung ist reif zum Umsturz, der Umsturz kann gar nicht schnell genug kommen; denn wozu wird eine Gesellschaft, die zu so etwas fähig ist, nicht noch alles fähig sein?
8
Das enthebt uns nicht der Notwendigkeit, uns selbst einige schmerzhafte Fragen zu stellen. Unsere Bewegung ist hat zu oft den leichteren Weg genommen. Der Weg muss neu gefunden werden.
„To care for the people on the edge of the night“: lange ist das her. Aber es ist immer noch gültig, und nötiger als je. „Love dares you to change our way of caring about us“….
Heute gibt es solche, die „LGB ohne das T“ fordern. Auch diese gehen den einfacheren Weg. Es wäre ein gefährlicher Unsinn. Wir gehören zueinander, sind durch kommunizierende Röhren miteinander verbunden. Aber wie sind wir dahin gekommen, wo wir heute sind?
An den Verwüstungen, die angerichtet sind, ist unsere Bewegung nicht unschuldig. Sie wird ihren Weg erst mühsam wieder finden müssen. Man hat sich, weil es einfacher war, in eine Gesellschaft eingereiht, die Sexualität nur nach der Weise des Privateigentums aufzufassen imstande ist; als Frage der individuellen Freiheit, und die nicht in der Lage ist, ihr gesellschaftliches Wesen zu begreifen. Als ob dieses gesellschaftliche Wesen damit gebannt wäre, anstatt sich auf andere Weise geltend zu machen.
Neulich konnte man Martin Dannecker im Gespräch mit Tessa Ganserer im Deutschlandfunk hören. Es war ernüchternd. Dannecker war früher einmal subversiv. Er schien mir immer einer von denen zu sein, die etwas von dem geheimen Wunsch wissen, der alle verbindet. Vielleicht habe ich mich getäuscht; oder vielleicht hat er irgendwann seinen Frieden gemacht. Der Dannecker, der hier zu hören war, wusste nur noch etwas von denjenigen Wünschen, die uns vereinzeln.
Den Schwulen und Lesben hat diese Gesellschaft vor Zeiten ein Angebot von der Sorte gemacht, das man nicht ablehnen kann: die Hereinnahme in die bürgerliche Gesellschaft, die volle rechtliche Gleichstellung mit dem hergebrachten Geschlechter-Elend, aber um den Preis, dass sie nicht mehr durch ihre blosse Existenz auf dessen Unwahrheit hinzuweisen. Damit ist der Präzedenzfall etabliert: die Gesellschaft, die gutherzige, weist allen einen Ort an; wenn sie bereit sind, den Preis dafür zu zahlen; nämlich das Zugeständnis, dass ihnen dieser Ort zukommt kraft einer versteinerten Identität, einer dinglichen Eigenschaft.
So wird denen, die sich schwertun, sich einzufügen, die Subversion ausgetrieben. Die Wurzel des Leiden an der Gesellschaft verschwindet unter ebenso platter wie aufdringlicher Propaganda. Die Grundlage der Solidarität, dass man sich nämlich im anderen wiedererkennt, wird zerstört. Aber wir können doch nicht anders: wenn wir euch sehen, erkennen wir uns selbst. Wir waren nicht viel anders.
Haben wir noch den Willen, dieser Gesellschaft die Wahrheit ins Gesicht zu schreien, dass sie eine wahnsinnige Bestie ist? Haben wir uns den reinen und strengen Geist des Negativen austreiben lassen, der als einziger nicht lügt und sich nicht belügen lässt? Wie sollen wir dann den Leidenden die Treue halten? Haben wir mit der Heuchelei unseren Frieden gemacht? Haben wir das heilige Wort „nein“ verlernt auszusprechen?
Ein 16jähriges Mädchen, das sich die Brüste abnehmen lassen will, weil es den Gedanken nicht erträgt, als Frau aufzuwachsen, ist ein 16jähriges Mädchen, das an dieser Gesellschaft scheitert. Und alles, was dieser Gesellschaft, diesem Monster, dazu einfällt, ist „Weltoffenheit“, „Buntheit“ und „Vielfalt“. (2)
Die einzigen, die alle diese Fragen stellen, sind heute gerade die überall verhassten neuen Feministinnen. Gerade weil sie sich mit aller Welt anzulegen hatten, gerade weil sie an keiner bestehenden Macht Rückhalt hatten, gerade weil sie sich selbst mit Mühe überzeugen mussten, ihren eignen Sinnen mehr zu trauen als einer irre gewordnen bürgerlichen Welt; gerade weil sie von ihrem eigenen Verstand einen nicht vorschriftsmässigen Gebrauch zu machen gezwungen waren, hat diese Bewegung für unser Zeitalter getan, was sie Studentenbewegung für 1968 getan hat, „sie hat den glatten Übergang zur total verwalteten Welt unterbrochen“ (Adorno an Marcuse 6.8.1969).
Das, meine Lieben, sind eure einzigen Freundinnen auf der Welt. Ihr mögt es glauben oder nicht. Ihr hasst sie heute, weil sie euch widersprechen. Sie tun recht daran. Wen man ernst nimmt, dem widerspricht man.
————
1. Es gibt eine Sorte von Leuten, die gern mit kritischer Theorie hantieren oder besser sich schmückt, und die aber solche Dinge immer dann vergisst, wenn man sie braucht. Die Sorte von Linken ist wertlos.
2. Und selbst unter den Linken gibt es solche, die das alles für o.k. halten, weil das „die jungen Leute“ so wollen, die es halt auch nicht anders kennen. Das soll man aber beileibe nicht „Opportunismus“ nennen! Sondern wahrscheinlich „Verblendungszusammenhang“.
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Ein Kommentar
Das antiimperialistische Weltbild
Manche Dinge ändern sich anscheinend nie; oder aber, was zu ändern war, ist gar nicht verstanden worden. Wieder einmal tun sich die alten bekannten Gräben aus, nicht immer da, wo man sie vermutet hat; auch das ist ein Zeichen, dass sie Sache nicht so glatt logisch liegt, wie sich beide Seiten das gerne dächten.
„Das Proletariat braucht eine eigene Aussenpolitik“, sagt man uns; ja, aber erstens braucht das Proletariat einen Haufen Dinge, die es nicht hat, und zweitens ist niemand von uns „das Proletariat“. Über die Aussenpolitik streitet sich indessen die Linke, wie immer, fruchtlos, aber mit grosser Hingabe; und dieser Umstand selbst, so selbstverständlich er allen zu sein scheint, ist für uns erklärungsbedürftig.
Natürlich haben wir unseren Standpunkt, wir vertreten ihn, wo wir es für nötig halten, mit Härte. Aber wie wir in diese Lage überhaupt kommen, wird dadurch nicht klarer. Wir haben dieses Spiel schon oft genug gespielt, vielleicht ist es einmal Zeit, dass man versucht, es zu begreifen. Ob sich dadurch etwas ändert? Wahrscheinlich nicht. Aber vielleicht doch.
1
Fangen wir an einem anscheinend willkürlich gewählten Punkt an, beim antiimperialistischen Weltbild der 1980er. Was ich darunter verstehen möchte, wird sich natürlich als eine willkürliche Abstraktion kritisieren lassen.
Ich verstehe darunter hauptsächlich nicht die DKP, und auch nicht mehr die damals schon in Auflösung begriffene maoistische Bewegung. Bei diesen ist ihr Antiimperialismus erstens immer eine Nebensache zu ihren proklamierten Hauptsachen gewesen; ausserdem war er in mehrerlei Hinsicht zweifelhaft. Ihre jeweiligen Vaterländer-der-Werktätigen sind des Imperialismus mindestens ebenso verdächtig; und jedes war mit den USA irgendwann gegen das andere verbündet.
Diejenigen, die sich und ihre Politik damals antiimperialistisch nannten, antiimperialistisch sans phrase, dachten etwas anderes dabei. Auch etwas anderes, scheint mir, als die, die sich heute so nennen wollen. Denn sie nahmen eine ganz eigenartige Position ein, die ihnen niemand seither nachzutun im Stande war; und auch das hat Gründe.
Antiimperialismus war nicht einfach eine Meinung, es war eine Weltanschauung, und sie verlangte einem einiges ab, intellektuell, affektiv und ethisch. Es mag überraschend klingen, so etwas von einem Antideutschen zu hören, aber das sollte es nicht. Die Wurzeln unserer Bewegung liegen gar nicht so weit von dort, und die Probleme, die alle diese Dinge machen, durchziehen die ganze Linke, sogar die antideutsche Strömung bis heute.
Intellektuell gesehen läuft es auf den Versuch hinaus, alle Herrschaftsverhältnisse der Weltgesellschaft als eine Einheit betrachten zu wollen. Die Frage ist nicht, ob man das darf, soll oder will. Sondern es ist in der Tat, ganz neutral betrachtet, die Voraussetzung dafür, einen Begriff von der Weltgesellschaft überhaupt haben zu können, und von dem, was man die Totalität nennt. Dass der heutigen Linken dieses Bedürfnis nicht mehr so dringend ist, ist ein genaues Mass ihrer Anspruchslosigkeit und Harmlosigkeit.
Es ist auch ebenso objektiv die Voraussetzung dafür, eine revolutionäre Subjektivität (eine „politische Identität“, wie man es damals nannte) denken zu können. Die (gedachte) Einheit der bestehenden Ordnung ermöglicht, die Auflehnung überhaupt als Einheit denken zu können; nämlich als eine Auflehnung, die nicht in Vereinzelung endet als ein zerfasertes Bündel vereinzelter Individuen, die am Ende vielleicht gar nichts miteinander gemeinsam haben.
Revolutionäre Sujektivität einerseits, ein Begriff des weltumspannenden Verhältnisses andererseits stützen und bedingen sich gegenseitig; der Feind wird auch nur zur Einheit, weil er uns allen überall als derselbe entgegentritt. Aber auch beides zusammen reicht nocht nicht aus; sondern diese Einheit erfordert grosse Anstrengung, sie erfordert ein widerständiges Leben; ein Leben, in dem der Aspekt dieses weltumfassenden Kampfes immer präsent ist.
In alle dem ist eine grosse Wahrheit; allein dass der Versuch gemacht worden ist, nötigt Respekt ab. Er ist ehrenwert und anspruchsvoll. Aber, und das ist mein Einwand, es musste scheitern. Ich halte hier wie sonst auch nichts davon, sich auf den billigen Einwand zu verlegen, und sich die meistens blamable Realität hinter diesem Anspruch zum Gegenstand der Kritik zu nehmen (so Autonomie Studis/Bolschewiki: „Mit den überlieferten Vorstellungen radikal brechen!, Freiburg 1989).
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Es läuft darauf hinaus, die Totalität zu denken. Diese Totalität ist aber ein in sich gegliedertes, vermitteltes Ganzes. Also bedarf doch dazu der Glieder der Vermittlung. Wie z.B. sollen diese gedacht werden? Der Arbeiter, der seine Frau schlägt: ist es ein Unterdrücker oder ein Unterdrückter? Das ist ein noch recht einfaches Beispiel, aber Saddam Hussein, ein Hitlerverehrer, der einen Teil der Bevölkerung mit Giftgas angreift; aber „objektiv“ ja gegen die US-Dominanz steht. Was nun?
Die Verrenkungen des Gehirns, die man hier angestellt hat, sind beachtlich; aber sie mussten ja gemacht werden. Auch die autonome Antifa der 1980er hat ja z.B. NPD-Parteitage angegriffen, während sie sich dachte, dass die NPD ein Glied in der Kette des weltweiten Imperialismus sei. Die NPD und der Imperialismus wären beide erstaunt gewesen, das zu hören; aber war es einfach ein Irrtum, eine Halluzination? Nein, war es nicht. Es war ein Versuch, etwas zu begreifen und zu beschreiben, wofür wir keinen einfachen Begriff haben können.
Man übersetze Imperialismus mit Herrschaft, und dann wird es verständlich, aber fatal unterbestimmt; natürlich wendet man sich gegen jede Herrschaft, aber in welcher Reihenfolge? Das Gefühl, dass einige schlimmer, oder dringender, sind als andere, ist allgemein. Aber welche? Und noch schlimmer: das Gefühl, dass es der Herrschaft gelingen könnte, die Grundlage von Opposition überhaupt zu zerstören, auch das Gefühl ist allgemein. Aber welcher Herrschaft?
Das Elend ist das, dass es an diesen Stellen, die ich fast Verzweigungen nennen möchte, keine objektiven Kriterien gibt und geben kann, nach denen man seinen Weg nimmt. Sondern es ist ab einem bestimmten Punkt zufällig. Die Ergebnisse, zu denen so gelangt wird, sind falsch; und ich rechne ausdrücklich diejenigen hinzu, zu denen wir selbst gelangt sind. Und zwar ist das unvermeidlich, solange man auf dieser Spur denkt, oder gezwungen ist, auf dieser Spur zu denken.
Im Grunde war der Antiimperialismus der 1980er selbst vielleicht nur eine letzte Anstrengung, der Niederlage der 1968er Neuen Linken zu entkommen, und die Nah-Erwartung einer Veränderung noch einmal in die Zukunft zu verlängern. Die Krise und Kritik dieses Weltbilds hat ihre Wurzeln selbst noch in den 1980ern, noch ehe der Staatssozialismus fällt; dessen Sturz ja eine eigenartige Wirkung gehabt hat gerade auf die Linke, die ihm weniger nahestand.
Die ersten Symptome sind die Anstrengung, dem Mangel an theoretischem Begriff abzuhelfen; die Autonomen gelten als theoriefeindlich, aber dennoch wurde angefangen, zu lesen, vielleicht etwas zu unterschiedslos; kritische Theorie, aber auch Poststrukturalismus; alles, was versprochen hat, die Antinomieen aufzulösen oder zumindest fassbarer zu machen.
Diese Szene reicht von den Autonomen bis zum Umfeld der RZ. Und in dieser antiimperialistischen Szene der 1980er liegen, soweit ich es weiss, schon die Wurzeln die Spaltungen, die in den 1990ern und mehr noch nach 2000 spektakulär ausgetragen werden. Sie haben ihre Materie in den Widersprüchen dieses letzten grossen Versuchs, die Konstellation von 1968 zu verlängern.
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Man kann heute noch Spuren dieser Geschichte besichtigen. Markus Mohr hat vor einigen Monaten neuerlich eine Abrechnung mit dem Text „Gerd Albartus ist tot“ von 1991 verfasst, mit dem eine Gruppe der RZ ihre Distanzierung von der bisherigen Politik der RZ begründet hatte. Er nimmt das zum Anlass für eine Polemik gegen die „Hallischen Jahrbücher“, das neue Organ einiger akademischer Antideutscher, insbesondere gegen Vukadinović und Gerber. Er wirft ihnen z.B. vor, allzu billig einen Bogen vom Antiimperialismus der 1980er zur „postkolonialen Theorie“ zu spannen. Da muss ich zustimmen; es ist allzu billig.
Aber er hat eigentlich doch etwas ganz anderes auf dem Herzen; er sieht eine Linie, die bei der „Selbstabwicklungsstrategie des „bewaffneten Kampfes”“ ihren Anfang nimmt. Über Wolfgang Pohrt und (ungenannt) Jochen Bruhn zieht sich diese Linie bis zu einigen ihrer Schüler.
Diese Linie reicht aber jedenfalls noch weiter, als er sagen möchte. Jochen Bruhns eigene Schriften über den bewaffneten Kampf zeigen eine Tendenz, die jedenfalls diesen unter seinen Schülern völlig fremd zu sein scheinen. „Trotzdem schlug es nirgendwo mehr „’68“, als dort, wo die RAF war, als könne in ihr die revolutionäre Illusion, aufs Äußerste nur konzentriert, die Drehtür zur revolutionären Wirklichkeit werden: Ein Funke kann einen Steppenbrand entfachen – in dem genauen Sinne, als könne die Haftbarkeit des Körpers für den Gedanken schon dessen Wahrheit verbürgen“…
Nur Markus Mohr kann es fertig bringen, in einem Aufwaschen gegen die „Hallischen Jahrbücher“ und gegen den RZ-Text „Gerd Albartus ist tot“ von 1991 zu polemisieren, als hätten diese etwas miteinander zu schaffen; und das im selben Ton, in dem der RZ-Text „Wenn die Nacht am Tiefsten ist, ist der Tag am Nächsten“ polemisiert hat gegen den anderen RZ-Text „Das Ende unserer Politik“. Das liegt daran, dass nur Markus Mohr die historische Linie noch sieht. Ich rate, ihn ernst zu nehmen; Recht geben kann ich ihm nicht.
Man kann alle diese Dinge nicht so leicht abtun. Das antiimperialistische Weltbild, und sein Scheitern, beides wirft seinen Schatten, und beides kann nicht einfach hintergangen werden. Von den Schriften Jochen Bruhns über den bewaffneten Kampf, den Staat und den Antisemitismus; über die Neubestimmung, die der Begriff des „Gegensouveräns“ bei den Antideutschen nach 2001 genommen hat; die Arbeiten Manfred Dahlmanns und Gerhart Scheits darüber, wie man sich das Verhältnis von Kapital und Souveränität denken muss; alles das sind Arbeiten an genau derselben Frage, an der der alteAntiimperialismus zerbrochen ist und notwendig zerbrechen musste: wie muss man sich die Totalität dieser Weltgesellschaft denken, das Verhältnis von Herrschaft und Ausbeutung, und welches Verhältnis ist souverän.
4.
Denen, die sich nach 2000 noch Antiimperialisten nennen, liegen solche Untersuchungen in der Regel fern. Sie erkennen in ihnen nicht ihre eigene Frage, oder vielleicht fürchten sie sich davor, sich diese Frage zu deutlich zu stellen. Was aus den Antideutschen geworden ist, war auch nicht gut geeignet, diese Furcht zu zerstreuen.
Aber vielleicht haben sich die Zeiten seither genügend geändert, dass ein neuer Anlauf gemacht werden kann. Insbesondere sind die beiden Lager, die durch die Spaltung um 2000 entstanden waren, mittlerweile selbst derart zerklüftet, dass es auch gar nicht mehr anders geht.
In einer länger zurückliegenden Polemik über den syrischen Krieg ist mir aufgefallen, dass die Parteinahme für die eine oder andere Fraktion, und in Verlängerung: die Parteinahme für oder gegen die eine oder andere Macht, eine ganz eigenartige Funktion zu haben scheint. Diese Sorte von Aussenpolitik scheint mir eine Verkleidung zu sein, in der sich eine Vorstellung über den plausibelsten Gang der Revolution einhüllt. Und zwar sind diese Vorstellungen naturgemäss völlig unentwickelt, aber sie sind vor allem auch uneingestanden.
In Frage stand dabei die Einschätzung des arabischen und des kurdischen Aspekts. Die arabische Revolution in Syrien hat keine eigene zentrale Leitung hervorgebracht, die kurdische dagegen stand von Anfang an unter der Leitung einer Partei, die nicht daran denken wird, diese Leitung aus der Hand zu geben. Die Revolution steckt in beiden Fällen in der Patsche. Man biegt sich diesen Zustand zurecht, indem man sich die Fraktion heraussucht, die einen selbst besser ins revolutionstheoretische Vorurteil passt. Von der anderen Fraktion streitet man rundweg ab, dass es sie überhaupt gibt; es wird eine blosse Anhäufung von Strauchdieben daraus. So funktioniert die Ehtnisierung solcher Geschichten; und indem man diese Loyalität, die auf Selbstbetrug beruht, auf die vermeintlichen Schutzmächte der beiden Lager überträgt.
In Wahrheit sind natürlich alle Parteien, die die Revolution usurpieren und ausplündern, Strauchdiebe, und ebenso ihre wirklichen oder vermeintlichen Schutzmächte; aber genau diese Einsicht ist so trostlos, dass man unmöglich dabei stehen bleiben kann.
Ich gehe so weit, zu behaupten, dass jeder eine solche implizite Revolutionstheorie im Kopf trägt. Sie unterscheiden sich natürlich in der Art der Veränderung, die gewollt wird; dass der jetzige Weltzustand sich gar nicht ändern soll, wird regelmässig von niemandem vertreten werden. Gehen wir jetzt davon aus, dass es eine bestimmbare Gruppe von Leuten gibt, die wir „Linke“ nennen wollen und die eine staaten- und klassenlose Gesellschaft anstreben. Die Existenz einer solchen Gruppe, oder die Gemeinsamkeit dieser Vorstellung, sind zunächst gar nicht beweisbar. Was aber bewiesen werden kann, sind die Widersprüche, die sich dabei auftun werden.
Diese Widersprüche lassen sich hübsch darstellen, indem man bei der Frage des Staats den Anfang nimmt. Sie werden sich schnell ins Irrsinnige verzweigen. Jochen Bruhn hat sehr schön gezeigt, dass diese Widersprüche im Gegenstand liegen; man kann sie nicht vermeiden, indem man sich einfach Mühe gibt, richtig zu denken.
In gewisser Weise wiederholt sich hier das selbe Problem: es gibt keinen objektiv richtigen Weg zur Veränderung. Auch die Defensive muss als Teil dieses Wegs betrachtet werden. In denselben Fallstricken fängt sich das Denken: ist es richtig, Partei gegen den Westen oder gegen Russland zu ergreifen? Dahinter steht unausgesprochen und uneingestanden die Vorstellung: von welchem Ergebnis her, aus welcher gesellschaftlichen Bewegung, von welcher weltpolitischen Lage aus liesse sich eine Veränderung am ehesten erreichen?
Das ganze wird noch elender dadurch, dass die Vorstellungen von der Veränderung gewöhnlich mitleiderregend beschränkt sind. Russland ist schwulenfeindlich, aber die Renten werden pünklich gezahlt. Die ukrainische Unabhängigkeit kann ein Hebel gegen die Herrschaft der postsowjetischen Mafia sein, aber die Ukraine wird Operationsgebiet für deutsches Kapital wie Polen und Ungarn.
Was man bereit ist, in Kauf zu nehmen, hängt ganz offensichtlich von Vermutungen über die weiteren Möglichkeiten ab. Und alle diese Perspektiven laufen irgendwann auf ein Riff. Im Grunde weiss niemand weiter. Und ganz genau das ist der Punkt.
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Nur, damit wir uns verstehen. Ich glaube nicht an die richtige Revolutionstheorie. Es gibt tendenziell soviele Revolutionstheorieen, wie es Sekten gibt, oder sogar wie es Linke gibt, wenn nicht mehr. Es wird gegen die Konfusion gar nichts helfen, sich zusammenzusetzen und eine neue zu entwerfen. Die Revolution ist nicht theoretisierbar, oder anders gesagt, wenn mans versucht, kommt nichts anderes raus als Theorie.
Aber die Konfusion ist ja doch grösser als absolut nötig, weil die Revolutionstheorien, die alle in den Köpfen haben, ihnen allen noch nicht einmal bewusst sind. Es ist nicht besser geworden dadurch, dass über die Perspektiven der Veränderung nach 1989 überhaupt nicht mehr offen geredet wird, und wenn, dann nur noch von den verrücktesten Sekten.
Es war vorher ganz offensichtlich auch schon schlimm; eine der unausgesprochenen Voraussetzungen im Denken der Linken scheint ja doch etwas mit der Sowjetunion zu tun gehabt zu haben.
„Die Sowjetunion war nie ein historischer Anker auf dem Weg zur klassenlosen Gesellschaft, sie war immer ein gewaltiges Hindernis. Und auf der anderen Seite ist genau deswegen eigentlich nicht das Weiterbestehen des DKP-Umfelds inkonsequent und irrational, sondern dass alle die anderen linken Gruppen und Strömungen eingegangen sind, als ob sie und nicht die DKP Aktien am „Land der verwirrenden Lüge“ gehabt hätten.“
„Ihr sagt, der Bankrott des Realsozialismus falle euch auf die Füße, obwohl ihr meilenweit davon entfernt wart. Dazu können wir nur feststellen: wem die Trümmer auf die Füße fallen, der muß sehr dicht dran gewesen sein. Was die von euch ängstlich beschworene revolutionäre Perspektive in den europäischen Metropolenländern angeht, so können wir diesen Bankrott nur begrüßen.“ (RZ Rhein-Main, „Wenn die Nacht am tiefsten ist, ist der Tag am Nächsten“)
Ganz offensichtlich ist das nie bewältigt worden. Das aber ist die erste Voraussetzung dafür, dass man weiterredet.
Vielleicht ist die Lage günstig für neue Einsichten: in einer Zeit, die man vielleicht in der Erinnerung die gewittrigen Monate vor den grossen Unruhen nennen wird. Die Linke ist ratlos, und immerhin die Ratlosigkeit hat sie miteinandern gemeinsam. Immerhin, mehr als seit langem! Kein schlechter Ausgangspunkt für einen neuen Anfang.
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Die nächste Krise XXII
Interessant und plausibel:
BEIJING : China’s largest banks will see near-term revenue and margin pressures on a persisting property sector downturn, higher costs and a worsening global macro outlook, analysts said, clouding growth prospects for the world’s second-largest economy.
Some of the challenges the lenders face were evident last week when five of the country’s largest state-owned banks reported annual results.
And while the banks‘ capital cushions are at comfortable levels currently, those could be impacted if asset quality worsens in the property sector or the economic recovery stutters. Their recent stock price growth could also be stunted.
…
The lending rates are even lower than deposit rates, pressuring lenders‘ NIMs, they said.
…
„Measures to stabilise the property market will reduce risk of contagion to the banking system, if these measures ultimately restore homebuyers‘ confidence and prop up property sales,“ said Zhu. „That said, banks will bear additional credit risks in the short term as they increase financing for the property sector.“
…
„Measures to stabilise the property market will reduce risk of contagion to the banking system, if these measures ultimately restore homebuyers‘ confidence and prop up property sales,“ said Zhu. „That said, banks will bear additional credit risks in the short term as they increase financing for the property sector.“
„If“! Wenn die Massnahmen zur Stützung der Grundstückspreise nicht nur der Schönung der Bilanzen dienen, sondern auch die Nachfrage stützen. Was sie kaum können werden. Ein sehr düstres „if“. Wenn der Analyst recht hat, ist eine grössere Bankenkrise nur eine Frage der Zeit.
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Kritik und Krise: Modelle
Teil IV der Artikelreihe: Materialien II. Die ersten drei Teile finden sich hier I II III
Materialistische Kritik ist bisher betrachtet worden als etwas, über das geschrieben wird; das beschrieben, untersucht, eingefordert, propagiert, in polemischer Weise der Theorie gegenübergestellt worden ist. Materialistische Kritik, kurz gesagt, erscheint hier bloss als Theorie materialistischer Kritik.
Entweder stellt man sich vor, dass von solcher Art literarischer Tätigkeit irgendwann, Tätigkeiten anderer Art, aber von derselben Qualität ausgelöst werden; man stellt sich dann die Kritik als historischen Prozess vor, bei dem man aber immer erst am Anfang steht, ohne dass dieser jemals von der Stelle zu kommen scheint; oder aber man müsste gleich an der Aussicht verzweifeln, auf solche Art jemals der Krise näher zu kommen. Es kommt auf eins hinaus.
Diese Lage ist nicht ohne Gefahr. Die Kritik arbeitet mit theoretischen Mitteln; sie richtet sich an Menschen mit Erfahrung in theoretischen Debatten; wenn sie auf dem Niveau ihres Gegenstands bleiben will, werden ihre Äusserungen selbst schwer verständlich. Sie tritt als eine Schule in Konkurrenz zu den verschiedenen Schulen der Theorie. Sie legt sich einen Vorrat an Voraussetzungen zu, der umständlich erklärt und verteidigt werden will; sie wird zuletzt eine Geheimwissenschaft einiger Eingeweihter.
Sie verliert damit einen Teil ihrer Wirkung. Sie wird zwar nach wie vor unter den Schulen die sein, die am meisten von einem gewissen gewittrigen Nimbus umgeben ist; aber ihre Donner sind auf einen eng umschriebenen Umkreis beschränkt.
Sie bedarf zu ihrer Wirksamkeit genau desjenigen intellektuellen Milieus, gegen dessen Selbsttäuschungen sie gerichtet ist, uns sie läuft immer Gefahr, in diesen steckenzubleiben. Sie bildet ihre Instrumente, ja ihre Sprache an den Angewohnheiten dieses Milieus, ihres nächsten Gegners, aus, und wird daran stumpf für die Welt.
Die Forderung an die linken Intellektuellen, durch Kritik die Krise hervorzurufen, verliert sich im Versuch, diese Forderung zu begründen; sie wirbt nicht mehr darum, Kritik zu treiben, sondern um Zustimmung zu der Forderung, dass Kritik getrieben werden müsse; sie wird selbst gegen ihren Willen zu Theorie, nur zu einer, die ihr eigener Gegenstand ist, und zwar genau in dem Masse, in dem ihr Bemühen um die linken Intellektuellen fruchtlos bleibt.
Oder aber man besinnt sich. Denn diese Fruchtlosigkeit, wenn alles bisherige stimmt, müsste doch anzeigen, dass man sich vertan hat. Ist nicht die Hervorrufung der Krise der einzige Anzeiger der Wahrheit der Kritik? Nun wenn bei den Intellektuellen eine solche Krise auf diese Weise nicht hervorgerufen wird, dann ist vielleicht diese Weise der Kritik nicht wahr. Ist sie einmal wahr gewesen, und unwahr geworden? Sie ist vermutlich immer unvollkommen gewesen und wird es auch immer bleiben, aber es ist doch nötig, nachzudenken.
Man ist selbst keineswegs alleiniger Inhaber der Idee, die wir Kritik und Krise nennen. Nur wird sie nicht immer so gründlich wissenschaftliche aufbereitet, abgeleitet und gerechtfertig; in kurzem, sie wird nicht überall, wo sie besteht, zum Gegenstand einer Theorie der Kritik. Die Idee einer Konstellation von Krise und Kritik ist gar nicht kompliziert, sie ist sehr einfach, so einfach wie der Begriff Wahrheit.
So ist es auch ohne eine Theorie verstehbar, und auch von jeher verstanden und getan worden. Kritik ist, derart allgemein betrachtet, etwas sehr verbreitetes und alltägliches, alle treiben sie ständig; aber sie ist natürlich nicht allemal wahr. Wahr aber wird die Kritik nicht dadurch, dass ihr Status und Verhältnis richtig formuliert und begründet ist; so treibts man nur für die Intellektuellen, damit auch die es verstehen. Sie ist auch nicht wahr durch die gute Absicht. Sie ist wahr dadurch, dass sie den Gegenstand trifft, d.h. durch die Krise.
Nicht jede Kritik legt es natürlich auf dieselbe Art Krise an. Revolutionäre Kritik, kommunistische Kritik, materialistische Kritik bedeuten auch nicht dasselbe. Von dem Vorbild Bruno Bauers z.B. ist es deswegen nicht leicht, sich zu lösen, weil er die heute noch gültige Sprache der revolutionären Kritik eigentlich begründet hat; aber die materialistische Kritik wird nie aufhören zu staunen, wieviel sie davon auf der Seite ihrer Gegner finden wird.
Wenn wir also vorerst bloss Wissenschaft von der Kritik treiben müssen, können wir genausogut damit anfangen, dass wir uns ein paar der bisherigen Modelle von Kritik anschauen. Es gibt nicht wenige, und ihre innere Verwandtschaft ist vielleicht geringer, als man glaubt. Der Charakter der Kritik liegt nicht in der Form der Kritik, darin liegt vielmehr ihre Wirklichkeit; der Charakter liegt in dem Adjektiv, das man davorsetzt.
a) Kritik mit praktischen Mitteln: Würzburger Flüchtlingsprotest 2012
Der Protest von 2012 verdient viel ausführlichere Untersuchung, sowohl darüber, wie er zustandekam, wie er verlief und was für Wirkungen er hatte; als auch insbesondere seine erstaunliche katalytische Kraft und aber seine Begrenzungen. Dass über alle diese Dinge viel weniger gesprochen wird, als sie es verdienen, ist vermutlich eine seiner offensichtlichsten Begrenzungen. Denn die realen und weittragenden Folgen, die er gehabt hat, sind sehr weitgehend wieder unsichtbar geworden und werden unter ganz anderen Formen verhandelt, als die, die der Protest für eine kurze Zeit geschafft hat zur Geltung zu bringen.
Im Winter auf 2012 taten sich einige iranische Flüchtlinge, nach dem Suizid des Mohammed Rahsepar, zusammen und begannen, einen Protest zu planen. Nachdem sie bei denjenigen Linken, die die Betreuung der Flüchtlinge zu ihrer Spezialaufgabe gemacht hatten, keinerlei Entgegenkommen fanden, wandten sie sich über merkwürdige Umwege an ihnen völlig unbekannte, darunter einige unsrer Freundinnen und Freunde. Die Proteste, die auf die Weise begannen und zu einem Hungerstreik eskalierten, waren eine Auflehnung gleichzeitig gegen ihre Lage als blosse Objekte des Asylverfahrens, stumme Empfänger der Caritas der Flüchtlingshilfe, und gleichzeitig eine Bekräftigung ihrer politischen Existenz iranische Opposition, und als Teil der revolutionären Weltbewegung.
Der Protest hatte zum unmittelbaren Gegenstand die einzelnen Asylverfahren, darüberhinaus einige der gesetzlichen Vorschriften, unter denen Flüchtlinge zu leiden hatten (und nach der Wiedereinführung der Residenzpflicht einige Jahre später wieder zu leiden haben); aber natürlich griff er, weil der Staat natürlich nur stückweise nachgab, viel weiter aus und zwang dem liberalen und linken Teil der Öffentlichkeit eine viel grundsätzlichere Entscheidung in der Frage auf.
Der Iran selbst ging wieder aus dem Fokus in dem Masse, wie sich andere Flüchtlinge dem Protest anschlossen; dafür entstand eine um so breitere Bewegung sowohl unter den Flüchtlingen als auch unter der Unterstützern, die sie Landschaft auf längere Zeit veränderte. Aber hier musste sich die Bewegung schon damit abfinden, dass sich ihre Resultate mit Dingen mischten, die sie selbst hart bekämpft hatte. Auf dem Flüchtlingskongress 2013 in München hatten Muhammad Khalali und Arash Dosthossein eine ausgearbeitete sogenannte Non-Citizen-Theorie vorgetragen, die den Flüchtlingsprotest fest und materialistisch an die faktische Staatenlosigkeit, an die Kritik des Staatsverhältnisses selbst band, und darüberhinaus an eine Klasse; alle entwickelten bürgerlichen Staaten haben etwas wie das Investorenvisum, die freie Kapitalbewegung unterliegt ganz anderen Regeln als die internationale Bewirtschaftung des Arbeitsmarkts.
Diese Argumentation war entstanden in der Auseinandersetzung mit der sog. Critical Whiteness. Sie ist einstweilen aber wieder spurlos untergegangen, nie schriftlich festgehalten, bisher auch noch nicht verbreitungsfähig rekonstruiert, und völlig in Vergessenheit geraten, auch aufgrund des teilweisen Erfolgs der Bewegung.
Die Ausdrucksform des Protests verdient eigene Beachtung. Sie hat diese bisher nur in den Schriftsätzen der Verwaltungsrechtssachen über die Zulässigkeit dieser Protestmittel gefunden. Die Flüchtlinge wohnten über monate faktisch in einem Zelt in der Fussgängerzone an wechselnden Orten, gleichzeitig Darstellung und Umkehrung ihrer Existenz ohne jede Privatsphäre in einer Kaserne am Rand der Stadt, ausserhalb der Augen der Welt. Das Protestzelt versammelte um sich eine ganze eigene Öffentlichkeit; es schaffte, den Intrigen der Verwaltung standzuhalten, indem es eine breite Sympathie in der Gesellschaft hervorrief.
Für meine Begriffe ist diese Bewegung die einzige wirkliche zu meinen Lebzeiten stattgehabte Form von materialistischer Kritik. Sie verdient die beiden Teile dieser Bezeichnung völlig. Und es war denen, die sie begonnen haben, auch völlig klar; auch ehe Jochen Bruhn, als er einmal in der Stadt war, ihnen etwas ähnliches gesagt hat.
b) Der Strassburger Skandal 1967
Unter Fans der Situationisten bis heute legendär ist der Prank, den einige ihrer Anhänger abzogen, als sie an der Strassburger Universität die Wahl zur Studentenvertretung gewonnen hatten mit dem Versprechen, die Studentenvertretung aufzulösen. Sie liessen von Mustapha Khayati das Pamphlet „Über das Elend im studentischen Milieu“ schreiben, eine klassische, bis heute gültige und völlig zerstörende Kritik; druckten sie sodann auf Kosten der Studentenvertretung u.a. auf sehr teures Papier, und luden zu einer Feierstunde, auf der sie es verteilten. Mit dieser Provokation zwangen sie die Universität, sie zwangsweise zu exmatrikulieren, und zwar mit der irrsinnigen Begründung der Veruntreuung der Mittel der Studentenvertretung. Damit erreichten sie nicht nur, dass das Pamphlet ungeheure Bekanntheit erreichte, sondern im Grunde auch einen schlagenden Beweis seiner Richtigkeit. Der ganze Vorgang musste als ein ungeheurer Aufruf zu völliger und kompromissloser Zurückweisung der Universität und der studentsichen Realität wirken.
Wieviel Anteil das an der Protestbewegung der Studenten im Jahr darauf hatte, ist im einzelnen umstritten, aber es lässt sich zur Not eine fortlaufende Kette persönlicher Kontinuität bis zur Besetzung der Sorbonne beschreiben, und ein wenn auch lockerer kausaler Zusammenhang zu der Fabrikbesetzungsbewegung. Die pro-situationistische Mythologie schreibt der Sache gerne mirakelhafte Qualitäten zu. Aber situationistische Gruppen haben allerhand solche Streiche seither ausprobiert, manche davon sehr gut, wie z.B. die Weihnachtsmannsache der Leute von King Mob; aber eine Revolution hat man damit nicht wieder ausgelöst, soweit bekannt geworden ist, und das hat vielleicht seinen Grund.
Die Situationisten haben solche Dinge manchmal „Konstruktion von Situationen“ genannt, und viel über solche Dinge nachgedacht. Wo die Grenze zur politischen Manipulation ist, ist nicht allgemein zu sagen. Aber über die Situationisten ist noch viel zu sagen; nach dem Mai, mehr noch nach dem Juni, fiel die Gruppe in völlige Lethargie und Selbstzufriedenheit, wurde darüber handlungsunfähig genau in dem Moment, wo ihre Bewegung anfing zu zerfallen. Debord und Sanguinetti waren die nächsten 3 Jahre damit beschäftigt, sie aufzulösen. Im Grunde ist dieses Versagen noch lehrreicher als das schöne Skandalstück; es stellt die Frage nicht nur nach dem Adressaten, sondern nach dem Subjekt der Kritik, und dem Verhältnis zwischen beidem.
Jörg Finkenberger: Nachträgliches über die Situationisten
c) Bruno Bauers Lehrstuhl
Diese Art Skandalpolitik hat ihre Vorgänger unter der literarischen Linken, bei den Surrealisten und den Dadaisten. Aber man kann als vielleicht ersten Vorgänger Bruno Bauer identifizieren. Das Vorbild sind vermutlich die Ereignisse um das Ende der Professur Fichtes in Jena, aber Bauer legte die Sache bewusst an, oder „konstruierte eine Situation“. Er hatte seine Kritik des Neuen Testaments veröffentlicht und bereitete sich vor, seine Religionskritik als eine Kritik des damaligen preussischen Staats zuzuspitzen. Er provozierte kurz gesagt den Entzug seiner Lehrerlaubnis, und schaffte es dabei, das Ministerium, die Landeskirche und alle theologischen Fakultäten des Landes mit hineinzuziehen. Es ging dabei nicht nur mehr um Theologie, Kirchenpolitik, Wissenschaftspolitik, sondern jedenfalls in den Begriffen der junghegelianischen Schule um das Verhältnis der Gesellschaft zum Staat, und seiner eigenen Absicht nach um eine Art jakobinischer Demokratie. In seiner Schrift „Die gute Sache der Freiheit und meine eigene Angelegenheit“ erklärt er nicht nur, wie das zugehen soll, sondern bestimmt als erster die Begriffe Krise und Kritik so, wie wir sie hier benutzen. Man kann darin auch sehen, in welchen Umrissen er sich die Umwälzung dachte, die er auf diese Weise heraufzubeschwören gedachte, und in welchen Begriffen er das Scheitern der Kritik bewältigte. Nach 1848 nimmt die Kritik einer Gesellschaft, die sich nicht entscheiden will, den zentralen Platz in seinen Schriften ein. Die Demokratie, wie er sie sich dachte, hatte sich geweigert zu entstehen, und seine Seele dadurch retten, dass er sich dem Kommunismus anschliesst, wollte er auch nicht. So ging er zur Kreuzzeitung und wurde zu jemandem, auf den Nietzsche oder Schmitt sich berufen, den Koselleck einfach abgeschrieben hat, und den die Linken verleugnen, damit sie seine Fehler immer neu machen können.
Bruno Bauer: Die gute Sache der Freiheit und meine eigene Angelegenheit (Auszug)
d) Schlegels Begriff von Kritik
Wenn man schon bei den literarischen Wurzeln des Kritikbegriffs ist, muss man auf Fritz Schlegel eingehen. Er hat, ehe von Frühromantik überhaupt einer Sprach, in seinem „Lyceum“, danach weiter im „Athenäum“ eine ganze Reihe sehr fortgeschrittener Begriffe verfolgt, unter anderem den einer Kritik, die in einer Verbesserung und Überbietung besteht. Diesen Begriff hatte er aus seiner Arbeit über die Homerische Frage, wo er die Enstehung der Epen aus einem kollektiven Prozess des Weiterbaus, vermittelt durch die Kritik der einzelnen Rhapsoden vorstellte: eine schöpferische, umschaffende, weiterbauende Kritik, die den Gegensatz von Kunst und Wissenschaft, und die Spaltung der Gesellschaft, überwindet. Die Kritik des Romans, schreibt er, kann nur selbst wieder ein Roman sein, und ähnliche bizarre Paradoxien; aber es ist ihm immer bewusst, dass es sich bei diesen Ideen um Beiträge zur Gründung der Gesellschaft handelt. Der frieie Weiterbau am gemeinsamen Werk, den diese Kritik stiften soll, ist nicht bloss auf die Kunst beschränkt gedacht.
e) Kritik der Spaltung in geistiger und körperlicher Arbeit
Was vorhin über die materialistische Kritik gesagt war, muss auch umgekehrt betrachtet werden. Unter Intellektuellen besteht ja die erste Aufgabe der materialsitischen Kritik wirklich in dem undankbaren Geschäft, ihnen die intellektuellen Flausen wieder auszutreiben, z.B. die Berufskrankheit, sich erst alles vernünftig zu denken, d.h. sich jeden Sinn für die wirkliche Unvernunft abzutrainieren; im Grunde ist das immer noch Idealismus, d.h. der typische Intellektuellenaberglaube, dass bloss weil sie sich primär mit dem Geist auf die Welt beziehen, dann der Geist auch das innere Prinzip dieser Welt sei.
Die Kritik dieses Unsinns ist nicht nur unvollendet, gerade weil Marx soviel Mist darüber geschrieben hat. Der „junge Marx“ ist das ideale Versteck für allerhand linken Idealismus, und Lukacs und der Hegel-Marxismus haben das ganze nocheinmal philosophisch geadelt. Ausserdem wird jeder linke Intellektuelle quasi als Idealist geboren, die Arbeit ist also wirklich niemals beendigt. Jochen Bruhn hat das zu Recht als die erste Aufgabe der materialistischen Kritik bezeichnet, als Selbstkritik der Intellektuellen, ohne die so etwas wie Materialismus gar nicht bestehen kann. Sie ist gleichzeitig eine Kritik der Form Politik, wie sie eine Kritik der Form Theorie ist.
Politik in ihrer klassischen, d.h. durch der Verwüstungen, die sie angerichtet hat, zur ehrwürdigen Tradition geheiligten Form ist z.B. die Idee der Leninisten, dass die Organisation des Proletariats natürlich zustande kommen muss dadurch, dass erst Intellektuelle aus der Bürgerklasse einspringen und diese Organisation, zu der das Proletariat es natürlich nie und nimmer selbst bringen kann, substituieren; ein des Abbe Sieyes würdiges Staatsphilosophem.
Die Altvorderen unserer Schule waren zu Recht erbarmungslos in ihrem Beharren, dass das Geklapper von Theorie und Praxis sich immer und überall auf das von Klasse an sich und für sich reimt, und dass unfehlbar dahinter die Aufgabe der Intellektuellen herausspringt, die Vermittlung zu vollbringen, d.h. den Staat zu gründen. Die Denunziation dieses Irrsinns wird natürlich die Frage gestellt bekommen: wie sonst? Und sie hat sich diese Frage auch zu stellen. Bloss weil vermöge der Partei die Klasse an sich niemals zur Klasse für sich wird, heisst das ja lange nicht, dass sie es wird vermöge der Kritik der Partei.
Diese Stelle kann mit den Mitteln der bloss theoretischen Kritik zwar beschrieben, aber nicht überwunden werden. Die bloss theoretische Kritik hat hier entweder die Waffen zu strecken, oder sich ein historisches Beispiel zu nehmen. Die Situationisten, hatten eine ähnliche Kritik der Spaltung am Start, die sie als gute Schüler des Castoriadis zu einer sogenannten Kritik der Trennungen ausgearbeitet hatten; derjenigen Trennungen nämlich, die dafür sorgen, dass in der Republik des Markts z.B. nicht gesprochen werden kann über die Despotie der Fabrik. Es kann überhaupt nicht mehr über wirkliche Erfahrungen gesprochen werden, und aufgrund wirklicher Erfahrungen gehandelt werden, sondern nur unter der Form der Politik; d.h. vermittelt über die zuständigen Instanzen, z.B. der Gewerkschaft. Das bloss alltägliche, d.h. wirkliche Leben ist unwichtig, d.h. Privatsache, aus der nie etwas folgt.
Die Situationisten hatten einerseits völlig Recht, indem sie die Dinge beim richtigen Namen benannten. Sie hatten aber andererseits völlig Unrecht, indem sie sie nur dem Namen nach kannten. In dem selben Moment, als sie den Laden dichtmachen mussten, machten ganz andere Leute aber ihren Laden erst auf und legten eine wirkliche Kritik des alltäglichen Lebens und eine wirkliche Kritik der Trennungen vor, d.h. eine, die nicht nur eine theoretisch begründete Forderung nach einer solchen ist, sondern die eine wirklich praktische Kritik auch auszulösen im Stande war, nämlich Shulamith Firestone, Katie Sarahcild und die Women’s Liberation Front.
Die blosse Kritik der Form Politik ersetzt nicht die wirkliche Kritik der Gesellschaft, sie ist sogar unvollständig ohne diese. Sie ist nur in einem bestimmten Bereich ihre Voraussetzung, nämlich unter den Intellektuellen. Aber unter diesen tendiert sie dazu, zu einer Frage davon zu werden, was Intellektuelle im Verein mit anderen Intellektuellen tun sollen; d.h. sie tendiert zum Rückfall.
Näheres: Nachträgliches über die Situationisten, Sackgasse der Suversion, Buchbesprechung: Revolutionärer Feminismus
f) Das Einstehen des Lebens für die Wahrheit der Kritik
Namentlich in Bruhns Schriften über die RAF findet sich öfter der Gedanken, dass der Revolutionär mit seinem Leben für die Wahrheit der Revolutionären Kritik einstehe. „So ich dies sage, muss ich aufrührisch sein; wohlhin!“, heisst es bei Thomas Müntzer. Immer daneben findet sich allerdings auch eine skeptische Ambivalenz gegenüber solchem „Existenzialismus“.
Die Wahrheit der Kritik wird natürlich nicht durch die Bereitschaft, sein Leben dafür dranzusetzen, erwiesen. Es haben ja allerhand Leute so etwas getan, ohne dass man bereit wäre, ihrer Sache dafür Recht zu geben. Trotzdem scheint es ein Grundsatz in der Geschichte aller revolutionären Kritik zu sein, dass der Kritiker von der Wahrheit der Kritik sagen wir es allgemein: keinen persönlichen Vorteil für sich erhofft, sondern einen mehr oder weniger grossen Nachteil in Kauf nimmt. Ist das der Kritik innerlich oder äusserlich? Hat das eher mit der Wahrheit zu tun, oder eher mit der Bereitschaft der Leute, einem zuzuhören, wenn man nicht offensichtlich als Anwalt in eigener Sache auftritt?
Beides kann wahr sein. Im Naturzustand, sagt die Spieltheorie, wo es keine judikative Instanz gibt, die jemanden an seiner Willenserklärung festhalten kann, ist die einzige Möglichkeit, glaubwürdige Erklärungen abzugeben, die, dass man für diese Erklärung Nachteile auf sich nimmt, d.h. durch diese Erklärung sich an die Erklärung bindet (costly signalling; siehe dazu Diego Gambetta, Codes of the Underworld.). Die revolutionäre Kritik, könnte man sagen, befindet sich natürlich mit ihrem Gegner im Naturzustand.
Auf der anderen Seite zitieren dann Leute Schmitt und sagen: Der Souverän ist das, was das Opfer des Lebens verlangen kann. Auch das ist ein gültiger Einwand. Zu Ende geführt kann das Problem hier nicht werden. Es wird vermutlich noch viel mehr dazu zu sagen sein. Zu dem Zusammenhang, in dem Bruhns Texte zur RAF stehen, empfehle ich, mit unsern heutigen Augen von Karl-Heinz Roth „Die historische Bedeutung der RAF“ zu lesen. Sind wir mit dem Standpunkt, der dort vertreten wird, im Moment schon fertig? D.h. können wir benennen, was genau daran falsch ist, wo doch einiges daran (womöglich in denselben Sätzen) anscheinend wahr ist?
Karl Heinz Roth: Zur historischen Bedeutung der RAF
Jochen Bruhn: Der Untergang der Roten Armee Fraktion
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Die nächste Krise XXI
Die kommunalen Investmentgesellschaften in China sind der jetzige Sitz der finanziellen Risiken:
So far, they have been no public reports of an LGFV default, but some have had loans extended.
“The LGFVs have become the black hole of the Chinese financial system. They have been used to fill the gap between local government revenue and expenditure,” said Andrew Collier managing director at Orient Capital Research.
“They have little or no profit, and cannot pay back their debt owed,” he said. “I expect many LGFVs to collapse, or to be quietly recapitalized by banks, putting some rural banks and some bondholders at risk of defaults.”
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Die nächste Krise XX
In der Finanzwelt schrillen die Alarmglocken: Sind Gewerbeimmobilien der nächste Dominostein, der auf dem Spielfeld des globalen Kapitalismus kippt? Das werde weithin so gesehen, warnte der Bank-of-America-Analyst Michael Hartnett in einem Kundenmemo. In dem Sektor braue sich »ein perfekter Sturm« zusammen, schwant auch der New Yorker Branchenexpertin Varuna Bhattacharyya. »Es fällt schwer, nicht ein wenig in Panik und Angstzustände zu geraten«, sagte sie der »New York Times«.
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Die nächste Krise IXX
Neues von den chinesischen Bodenpreisen.
That explains why the real fear for Chinese officials isn’t a fall in the amount of land sold, but volatility in the price of land, which would become a financial-stability issue.
The fear would be a 1990s Japan scenario, where land values crashed, walloping lending—and the broader economy—on the way down. That would be a disaster for China’s investment-driven growth model, which depends on steady credit growth.
So last year, when real estate sales slumped, local governments kept land prices stable. First, by reducing the amount of land sold, and second, having LGFVs buy land, they became buyers in prime spots previously favored by real-estate companies. It also helped that cities kept new home prices stable.
It’s hard to believe, but as real estate developers ran away from the land market last year, land prices in 300 cities surveyed by China Real Estate Information Corp. rose 6%.
…
The motivation is similar to the US Federal Reserve propping up financial assets during the 2008 financial crisis, acting as the “buyer of last resort” when private sector demand fell. In the Fed’s case, it made a profit on the troubled assets it took on—once the market calmed down.And it’s possible that LGFVs can do the same. Economists are already seeing signs of a China housing market recovery this year.
Die Bodenkrise wird verschoben auf eine Krise der öffentlichen Finanzen. Es ist nicht anders als Europa 2010. Die grosse Kernschmelze bleibt für jetzt aus. Ob das Problem damit ganz auf den nächsten Zyklus verschoben ist, ist nicht gesagt; die industrielle Krise, die dem ganzen zu Grunde liegt, ist nach wie vor da, und Stoff für eine Bankenkrise ist immer noch vorhanden.
Das ist anscheinend das charakteristische an solchen zyklischen Krisen in den späten Phasen der grossen Konjunkturen: dass die Erholung immer problematischer wird, und das Risiko des Rücksturzes in die Krise länger anhält.
Aber die Kommunalbonds haben eine ähnliche Stellung für den Refinanzierungskreislauf des Kapitals, und tragen deswegen dasselbe Systemrisiko:
One of the two main sectors for offshore bond issuance in China – the other being the beleaguered property industry – could see risk spill over to the broader bond market and threaten systemic financial stability in the world’s second-largest economy, analysts said, although missed payments are more likely to be seen beyond the public bond market in the short run.
…
“An unexpected LGFV bond default as a result of a gap in regional local government (RLGs) support … could lead to contagion in the onshore bond market, with implications for RLGs, financial institutions and [state-owned enterprise],” said analysts led by Martin Petch in a report on Wednesday.
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Wir werden die Fahne wieder aufrichten, auf der steht: Die Freiheit, die Gleichheit oder den Tod!
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