Die Linke und das Staatsvorfeld
Die Linke ist heute eingeklemmt zwischen den Illusionen einer Jugendbewegung, und dem ideologischen Staatsapparat. Beide dieser Faktoren wirken aufeinander ein; sie legen zusammen einen Sektor, von dem Veränderung ausgehen könnte, sehr effektiv an die Kette. Heute sehen wir uns näher den Einfluss dieses Staats-Vorfelds auf die Linke, wie sie heute erscheint, an.
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Die Linke ist nie einfach, wie ein vereinfachter Marxismus es gern hätte, eine Veranstaltung der unteren Klassen gegen die oberen gewesen. Sondern die Linke ist seit ihrem Anfang durchzogen von den Ideen des bürgerlichen Radikalismus. Bürgerliche Intellektuelle haben viele ihrer Ideen geformt. Mächtig sind diese Ideen immer dann geworden, wenn sie mit den Bedürfnissen der unteren, zahlreichsten Klassen zusammentrafen. Aber es lief meistens darauf hinaus, dass die Arbeiterschaft die Kastanien aus dem Feuer holte, während eine neue intellektuelle Klasse sich in den Besitz des Staats setzte.
Die Linke hatte deswegen eine ungeheure Anziehungskraft für die Intellektuellen; deren Standesaberglaube, sie wären die geistigen Träger einer besseren Welt, nahm die Form an, dass sie sich einbilden konnten, für die Unterdrückten zu sprechen als ihre Stellvertreter.
Aus den Ereignissen von 1989 haben sie den Schluss gezogen, dass es damit nichts ist, und sie haben in den 1990ern die Arbeiterklasse schneller fallen lassen als eine heisse Kartoffel. Einige riefen das Ende der Geschichte aus; der Kapitalismus hatte sich durchgesetzt, und damit auch die Gunst der Intellektuellen errungen. Genausoschnell wurde 2008 ein neues Zeitalter ausgerufen; jetzt hiess es, dass der Klassenkampf zurückkäme, das „Marx“ (was immer man sich unter dem Namen dachte) Recht gehabt habe usw.
Ganz offensichtlich ist aber das „historische Bündnis“ (wie wirs mal nennen wollen) zwischen der Arbeiterklasse und den Intellektuellen (der Staatsklasse) nicht wieder neu hergestellt worden. Denn was seither von Seiten der Intellektuellen und ihres Klassennachwuchses getrieben wird, spottet jeder Beschreibung. Es scheint so, als hätten die Intellektuellen beschlossen, dass die wirklichen Unterdrückten zu unsichere Bundesgenossen ist; zu eigensinnig und widerspenstig, oder dass ihre Interessen mit denen der Intellektuellen heute nicht mehr so einfach zusammengehen.
Deswegen muss sorgsam definiert und ausgesucht werden, welche Unterdrückten man vertritt; am besten ist es, sich die Unterdrückten gleich ganz selbst auszudenken. Dabei kann es nicht ausbleiben, dass diese Unterdrückten immer mehr so aussehen, wie die Intellektuellen selbst. Das findet heute in aller Dreistigkeit statt; es war nie wirklich anders; die Dreistigkeit tritt nur unter den heutigen Bedingungen erst grell hervor.
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Das ist ein Versuch, die innere Logik dieser Vereinnahmung zu beschreiben; welches aber sind die äusseren Mechanismen, durch die sie sich durchsetzt? Wir haben früher schon hingewiesen auf die Rolle, die in Deutschland seit den Schröder-Jahren die sogenannte „Demokratieförderung“ spielt. Der Deal war am Anfang sehr einfach: die ausserparlamentarische Linke wurde eingeladen, ihren „Kampf gegen Rechts“ staatlich fördern zu lassen. Daraus entstand ein Geflecht von „zivilgesellschaftlichen Gruppen“, die von der Regierung ausgehalten werden, und über die die Regierung Einfluss auf die Gesellschaft nimmt.
Die Antifa der 2000er hatte diese Gefahr zwar in allgemeinen Begriffen erkannt; sie hat das Ganze richtig als einen Integrationsversuch des Staates begriffen. Aber sie hat völlig verkannt, wie wenig subersive Substanz da war, die dem widerstehen konnte; wie wirkungsvoll dieser Appell des Staats an das Klassenbewusstsein der studentischen Linken sein würde. Ganze Generationen sind seither durch diese Schule gegangen und haben die Institutionen geprägt, in denen sie nachher Aufnahme fanden.
Aber es bleibt gar nicht dabei. Dieses Vorgehen ergänzt nur die Logik der Auslagerung von Regierungstätigkeit an „private“ Stellen, an „Vereine“ oder „Initiativen“, die sich Dinge erlauben können, an denen der Staat durch seine Bindung ans Gesetz gehindert sind. In diese Kategorie gehören auch NGOs, die auf staatliche Initiative gegründet werden und rein von staatlichen Stellen finanziert werden; sie sind von jeder denkbaren Mitgliedschaft völlig unabhängig und reine astroturfs, ihre Tätigkeit ist beliebig lenkbar, und sie treten trotzdem im Namen der „Zivilgesellschaft“ auf. Ihr Personal ist mit dem der Regierungsbürokratie austauschbar, es besteht eine Drehtür zwischen ihnen; natürlich sprechen sie im Namen gesellschaftlicher Interessen beim Gesetzgebungsverfahren mit, neuerdings hat sich eingebürgert, dass sie für Regierungsvorhaben Lobbyarbeit beim Parlament machen.
Die Regierung schafft sich ein Schein-Gegenstück in der Gesellschaft; ausgehaltene Schein-Initiativen der Gesellschaft; eine selbtsgemachte Schein-Öffentlichkeit samt einer öffentlichen Schein-Meinung. Das Staatspersonal spiegelt sich in allen diesen Einrichtungen selbst; hier die eine Fraktion des Staatspersonals, die bei uns den Namen rot-grün trägt. Um den Besitz des Staats und um seine Verwendung konkurrieren die verschiedenen Fraktionen; aber es läuft in jedem Fall auf den Staat hinaus.
Es ist noch schlimmer. Das, was ich das Staatsvorfeld nennen muss, geht weit über diesen Kreis hinaus, wenn es auch überall dieselbe Logik hat. Nehmen wir als Musterbeispiel wiederum die „Interventionistische Linke“ (IL) und ihre zahlreichen Kampagnenorganisationen.
Die IL war schon vorher dafür bekannt, von der AA/BO eine Attitude übernommen zu haben, die sagte: ihr braucht nicht denken, dass machen wir für euch; oder: werde auch du aktiv, indem du dich unserer detailliert durchgeplanten Aktion anschliesst und in die vorbereiteten Slogans einstimmst. Man kann ihr, wie neulich ein nürnberger Genosse es nannte, eine „Kontinuität des Opportunismus“ bescheinigen. Aber Mitte der 2010er ist doch noch etwas anderes geschehen. Die alten Kader aus der Blockupy-Ära verschwanden, und es rückte eine neue Sorte nach; diese ist ununterscheidbar von dem Personal der regierungslinken Parteien oder ihrer politischen Stiftungen.
Ein Zeichen dieser Entwicklung ist die Art und Weise der „Professionalisierung“ und der dazugehörenden „Schulungen“. Sie sind darauf angelegt, aus der Bewegung einen Kader von „Aktivisten“ zu destillieren, der nur sich selbst Rechenschaft schuldig ist, und nicht mehr irgendeinem gesellschaftlichen Bedürfnis. Sie halten das für etwas, was sie autonom und radikal macht. Eher ist es so, dass es sie erst völlig für die Manipulation herrichtet.
Alles, was die IL heute anfasst, hat diese eine gemeinsame Charakteristik: es wird eine nicht-antagonistische Opposition aufgebaut, das heisst eine, die darauf angelegt ist, befriedet zu werden. Es geht immer darum, eine Massenbewegung bloss zu inszenieren; oder eine bestehende Bewegung zu überformen; ihr verhandelbare Ziele und eine verhandlungsfähige Führung unterzuschieben. Es geht nicht darum, grundlegende Opposition gegen den bestehenden Zustand zu sammeln; es geht darum, sich als einen Machtfaktor ins Spiel zu bringen. Eine Aufforderung, dass man gekauft werden möchte; und ein Angebot, die Sache, die man vertritt, zu verkaufen.
Deswegen enden alle diese Kampagnen logischerweise darin, dass die Sache zuletzt auf dem Tisch eines grünen Ministers landet, der sie dann selbstverständlich ablehnt, mit dem Ausdruck der grössten „Zerrissenheit“ natürlich. Die eine Sorte Verlogenheit arbeitet der anderen zu. Die einzigen, für die es sich lohnt, ist der neue Kader, dem sich die Türen in den politischen Betrieb öffnen.
Die Kampagnenorganisationen der IL dienen sich der Bewegung natürlich um so leichter an, als sie streng basisdemokratisch sind; überhaupt lässt sich nichts leichter leiten als eine basisdemokratische Organisation, wenn ihre Mitglieder und die Bewegung selbst völlig atomisiert sind. Die Kunst besteht darin, die Informationen zu verwalten, die ihnen zur Verfügung stehen, und die lästige Organisationsarbeit zu übernehmen, die niemand machen will; aber betrogen wird auf Dauer ja doch nur, wer betrogen sein will. Weiterlesen →