Die nächste Krise I

Wir haben hier schon öfter Mutmassungen über eine neue globale Wirtschaftskrise angestellt. Dabei ist folgendes behauptet worden:

a. Es steht eine Krise von der Dimension der Krise von 2008 bevor, oder grösser.
b. Diese Krise wird ihren Anfang im chinesischen Kapital nehmen.
c. Sie steht 2022 zu erwarten.

Nun, da offen über eine beginnende globale Rezession geredet wird, ist es Zeit, genauer anzusehen, was geschieht.

1. Die Krise von 2015/16 ist von einem grossen Teil der westlichen Ökonomen übersehen worden. Sie hat in China einiges von dem nachgeholt, was die Krise von 2008 im Westen getan hatte. Das auf Warenexport gestützte Modell der 2000er ist abgelöst worden durch ein auf Schulden gestütztes. Das ist nicht ein „Fehler“ irgendeiner Politik, sondern die unvermeidliche Folge der chinesischen Akkumulation: China hat jetzt einen produzierenden Kapitalstock von derselben Art wie der „Westen“, aber das heisst eben auch: genauso kopflastig und unrentabel wie der Westen.

2. Die Krise beginnt im Verlauf des Konjunkturzyklus immer damit, dass die industriellen Investitionen ins Stocken kommen, weil klar wird, dass die Märkte einstweilen gesättigt. Die entsprechenden Wertsummen müssen geparkt werden; die Preise der Wertanlagen steigen, zuvörderst die Aktien, Staatspapiere und der Grund und Boden. Sie steigen aber nicht einfach immer weiter, sondern begrenzt; das heisst, auch hier beginnen bald die Zeichen der Stagnation, gefolgt vom Rückzug aus dem Markt und schliesslich der hellen Panik.

Solange sich die Anlagemärkte ausdehnen, werden die wundersamsten neuen Wertanlagen erfunden, neuerdings die Kryptowährungen und so solide Sachen wie Non-fungible Tokens. Solche Schwindelwaren gehen als erstes baden. Aber alle Anlagemärkte sind verbunden. Grund und Boden, im Grund auch nichts anderes als eine Wertanlage, hat die zusätzliche Besonderheit, dass sie über den Wohnungsmarkt mit der Konjunktur nocheinmal verbunden sind.

3. Wenn man liest, dass chinesische Wohnungsbaugesellschaften mittlerweile Zahlungen in natura annehmen, etwa in Knoblauch oder Melonen, dann ist das zuerst einmal lustig. Aber dahinter steckt eine beginnende Kreditklemme. Daher auch die Häufigkeit der Bank Runs.

Es hat in der Branche Konkurse in Billionenhöhe gegeben. Dass damit eine sog. Marktbereinigung eingetreten wäre, ist ein hemmungslos neoklassischer Irrglaube; nur noch die vertreten sie, die dringend abgesoffne Anlagen losschlagen müssen. Die, die sie kaufen sollen, hüten sich weislich.

Es wird schon offen davon gesprochen, dass die chinesische Krise die Weltwirtschaft in eine Rezession ziehen werde.

4. Die Regierungen und Zentralbanken haben seit der Krise von 2008 den ganzen Laden nur dadurch an Laufen gehalten bekommen, dass die gigantische Staatsausgaben und praktisch kostenloses Geld in die Zirkulation gepresst haben. Es ist dort meistens noch nicht einmal angenommen worden. Anscheinend sind die Gesetze des Konjunkturzyklus robust genug gewesen, dass sogar ein „externer Schock“ wie der Lockdown 2020 nicht zu einer wirklichen Krise des Kapitals geführt hat; jedenfalls nicht direkt.

Und auch indirekt haben die Störungen der Lieferketten neben dem leergefegten Arbeitsmarkt nur einen Teil des Problems erzeugt. Den letzten Stoss haben die Energiepreise gegeben; aber sie haben das nur tun können unter dem Klima der konjunkturellen Anspannung. Die steigenden Preise an sich führen ja auch nicht zur Rezession; die Rezession ist im Gegenteil eine Deflation.

Sondern die Reaktion auf den Preisanstieg ist es, was die Rezession offiziell einläutet. Jetzt können sich die Krisentendenzen, die 15 Jahre lang gewaltsam zurückgehalten worden sind, ungestört geltend machen.

5. Eine baldige Bereinigung ist nicht zu erwarten, genauswenig wie nach 2008 eine Bereinigung eintreten konnte. Die Krise kann sic leicht als tiefer und zerstörerischer herausstellen als alle Krisen seit 1929. Der Abgrund tut sich auf, der unter dieser Gesellschaft ist. Das heisst nicht, dass der Kapitalismus irgendwann einmal „vorbei“ sein wird wie ein böser Traum, wie in dem bekannten Lied von Peter Licht; so etwas ist nur ein Traum. Man kann versuchen, sich seinen Zusammenbruch als ein eigenes Zeitalter vorstellen, und was an seinem Ende steht, weiss man nicht.

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