Nach zwei vollen Jahren den dreitägigen russischen Blitzkriegs gegen die Ukraine ist die Situation scheinbar eingefroren in einer sehr unschönen Art und Weise. Wie immer vorab: der grobe Überblick über den Kriegsverlauf kann man sich an tausend anderen Orten verschaffen, es gibt unzählige Menschen, deren überdurchschnittliche Militäranalyse noch etwas überdurchschnittlicher ist als unsere überdurchschnittliche Militäranalyse. Dafür versuchen wir aus diesem blutigen Rosinenbrötchen, das uns der Weltgeist gebacken hat, die Rosinen herauszupicken, die vielleicht auf einige Tendenzen einer möglichen Zukunft weisen könnten. Alte Weiber prophezeiten aus dem Kaffeesatz, Karl Marx – aus dem Dampf der Dampfmaschinen und wir… tun auch unser Bestes.
Zum einen gab es im laufe dieser Woche sehr widersprüchliche und ungenaue Berichte über die Geschehnisse an der russisch-ukrainischen Grenze. Offensichtlich gab es am 14. März und in den folgenden Tagen Vorstoßversuche in die Kursker und Belgoroder Gebiete seitens der mit den ukrainischen Streitkräften affiliierten freiwilligen Verbände. Mit Sicherheit lässt sich momentan nur eins sagen: das waren wohl keine „mehrere Dutzend schwerer Maschinen und an die 2,5 Tausend Mann“, wie es von der russischen Seite hieß, die größtenteils eliminiert worden sind. Für solche vermeintlich epische Schlachten gibt erstaunlich wenig Nachweise. Der Krieg erinnert, man möge uns den Zynismus verzeihen, wie schon einmal erwähnt, an Viktor Pelewins Roman „SNUFF“: ein medienwirksam inszenierte Krieg zwischen dem „himmlischen Byzantinum“ und einem fiktiven Pseudeostaat „Urkaine“ wird sehr aufmerksam von TV-Drohnen verfolgt und in die ganze Welt ausgestrahlt. Gesehen haben wir dagegen recht wenig: eine oder zwei verlorene Maschinen, ein dutzend Tote und Verletzte auf der ukrainischen Seite, dafür darf unser alter bekannter Dennis „White Rex“ von der Russischen Freiwilligencorps gefangengenommene russische Soldaten interviewen.
Aus dem Belgoroder Gebiet wird berichtet:
The escalations marked the second wave of clashes between Russian forces and Ukraine-aligned fighters on the border this week. On Tuesday morning, multiple pro-Kremlin Telegram channels reported that “armed groups” supporting Ukraine had attempted to cross the border into villages in the Belgorod and Kursk regions. Russia’s Defense Ministry later reported, without providing evidence, that Russian troops killed 234 of the attackers. The Freedom of Russia Legion and the Siberian Battalion, another pro-Ukraine group made up of Russian fighters, claimed to have crossed into Russia territory, but journalists from Agentstvo later confirmed that at least one of the videos the groups offered as evidence was actually filmed in Ukraine.
Tuesday’s clashes were followed by more than 60 reported drone attacks in various Russian regions on Tuesday night and Wednesday morning, including six in Belgorod. According to Governor Vyacheslav Gladkov, the drones damaged residential buildings, a gas supply line, and a power line in the region. The Russian state news agency TASS also reported that a drone crashed into the Federal Security Service’s (FSB) headquarters in the Belgorod region, but it later removed the story.
Es steht jedenfalls fest, dass an der Grenze irgendwas passiert. Russland kann seine Behauptungen bislang nicht bestätigen, die Freiwilligencorps und das Legion Freies Russland sind allerdings auch überwiegend eher für ihre mediale, statt reale Kriegsführung bekannt. Was vielleicht seine Berechtigung hat: ein Versuch, die mediale und militärische Aufmerksamkeit weg von der aktuellen Front wegzulenken, wo es z.Z. für die Ukraine nach dem Fall von Awdijiwka nicht besonders gut ausschaut. Russland kommt momentan auf der flachen Ebene nicht sehr schnell voran, sollte sich die Versorgungslage für die Ukraine nicht demnächst ändern, kann Russland im Sommer eine neue Offensive starten. Und zwar mit derselben veralteten Technik und fürchterlichen Verlusten an „menschlichem Material“. Denn Russland kann es sich im Gegensatz noch ein Weilchen zur Ukraine leisten (keine besonders neue Erkenntnis, aber wir werden uns später dessen ökonomische Grundlagen anschauen). Eine weitere Intention war vermutlich, die russische Präsidentschaftswahl nicht so gemütlich aussehen zu lassen. Das ist jedenfalls gelungen. Den Rest erfähren wir hoffentlich bald. Weiterlesen